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Höhenflug: Die Grünen - Auf Augenhöhe mit den Volksparteien

Zeichen der Schwäche? So wertet Klaus Wowereit, dass die Grünen seine Herausforderin Renate Künast aus der ersten Reihe der Bundespartei holen müssen. Man kann auch sagen: Die Stärkste ist gerade gut genug, um Wowereit zu vertreiben.

Zeichen der Schwäche? So wertet Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, dass die Grünen seine Herausforderin Renate Künast aus der ersten Reihe der Bundespartei holen müssen. Man kann auch sagen: Die Stärkste ist gerade gut genug, um Wowereit im Herbst 2011 aus dem Roten Rathaus zu vertreiben. Der historischen Chance, die erste grüne Ministerpräsidentin eines Bundeslandes zu stellen, ist sich die Ökopartei jedenfalls bewusst.

First we take Berlin? Oder doch erst Baden-Württemberg, wo schon im März nächsten Jahres gewählt wird, und die Grünen fast gleichauf mit der Union liegen? Ende März, sagen Umfragen, könnten die Grünen auch in Rheinland-Pfalz die allein regierende SPD in eine rot-grüne Koalition zwingen. Nicht zu vergessen Nordrhein-Westfalen, wo sie seit 100 Tagen mitregieren. Die Partei, im Bundestag nur die kleinste der fünf Fraktionen, ist auf dem Sprung aus der Nische auf Augenhöhe mit den Volksparteien. Es könnte die SPD sein, die dabei verliert. Noch ist vieles geborgte Kraft. Die neue Macht wächst aus den Fehlern der Konkurrenz, dem Ungeschick von Schwarz-Gelb als auch der um Orientierung und Glaubwürdigkeit ringenden Sozialdemokraten. Zu herablassenden Sticheleien hat die SPD keinen Anlass, weil sie selbst den Eindruck macht, als habe sie die sich rapide verändernde Gesellschaft noch nicht verstanden. Auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der nach seiner Nierenspende am Montag die Arbeit wieder aufnimmt, wird in der Partei dafür sorgen müssen, an den eigenen Defiziten zu arbeiten.

Die Grünen sind Profiteure der neuen Bürgerlichkeit: die städtischen Milieus mit jungen Familien, Selbstständigen und liberalen Ökologen wachsen. Ethische Werte, soziale Verantwortung, Bürgerrechte und die Bewahrung der Natur bieten Berührungsflächen für enttäuschte konservative Wähler. Wo Volksparteien unscharf werden, sagen Demoskopen, wirken die Grünen verlässlich und beständig. Nichts schärft das Profil zudem wie der neue Atom-Protest oder die Bürgerwut bei Stuttgart 21.

Auch Künast weiß, dass Grüne jetzt beweisen müssen, dass sie Koalitionen von vorn führen können. Nun steht an, Farbe zu bekennen: nicht nur grüne Wohlfühlthemen zu servieren, sondern als Chefkoch zu vertreten, dass in Berlin weiter hart gespart werden muss und tausende Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden müssen. Wenn das Misstrauen gegen die Politik wächst, wollen Wähler ernst genommen werden: Betroffene einbeziehen, Zumutungen erklären, Konflikte diskursiv lösen, um Menschen mitzunehmen, kann der Qualitätsgewinn grüner Politik sein. Wenn Künast im Wahlkampf die Bodenhaftung verliert, fliegt sie schnell aus der Umfragen-Kurve.

Eine Koalition mit Berlins CDU nicht auszuschließen, vor allem, wenn eine mögliche Spitzenkandidatin Monika Grütters neue Perspektiven öffnet, könnte sich als klug erweisen. Und wer weiß, wofür der Einsatz des CDU-Vordenkers und Attac-Mitglieds Heiner Geißler als Schlichter für Stuttgart 21 noch gut ist. Wenn Grüne dort regieren wollen, müssen sie schließlich eine Lösung finden oder mittragen – vielleicht mit den Schwarzen.

Wie schnell Grün wieder abstürzen kann, zeigt Hamburg: Kraftwerksbau, explodierende Kosten bei der Elbphilharmonie, vor allem eine krachend gegen die Wand gefahrene Schulreform, die die Grünen durchdrücken wollten, statt mit den Menschen zu reden. Wer zu viel Kraft hat, kann sich auch kräftig verheben. Das hat gerade die FDP vorgemacht.

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