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Meinung: Hoffentlich ist es Wahlkampf

Bei der Irak-Politik hat Schröder den 22. September vor Augen – oder eine Horrorvision

Von Christoph von Marschall

Es liegt am Wahlkampf, das denken die meisten. Welchen anderen Grund sollte Gerhard Schröder haben, so vehement gegen einen Irak-Krieg und gegen die USA zu Felde zu ziehen? Er ist doch der Kanzler, der Deutschland in den ersten Kampfeinsatz seit 1945 geführt hat, im Kosovo. Der ein neues Selbstverständnis deutscher Außenpolitik definiert hat, zu dem es gehört, Frieden, Stabilität und Menschenrechte notfalls militärisch zu verteidigen. Der Amerika die uneingeschränkte Solidarität zugesichert und Bundeswehr in Mazedonien, am Hindukusch, vor Somalia und in Kuwait stationiert hat.

Wenn dieser Mann jetzt ganz anders redet, dann doch wohl mit Blick auf den 22. September. Noch ein Krieg nach Kosovo und Afghanistan, das ist nicht populär. Und Amerika, so denkt es im Volk, nimmt sich in letzter Zeit ja auch ein bisschen viel heraus: von der Klimapolitik über den Internationalen Strafgerichtshof bis zum imperialen Gehabe in der Welt. Wie gut, dass da einer gegenhält.

Und doch. Schröders Wortwahl ist so ungewöhnlich, dass sich die Frage aufdrängt, ob ihm allein der Wahlkampf die Zunge führt. Einen schießwütigen Cowboy hat er den US-Präsidenten genannt. Der Amerika in Abenteuer stürze, ohne die Folgen zu bedenken. Und nun auch noch das: „Hände weg vom Irak!“ Das klingt ja fast, als sei der Kanzler mit Bagdad verbündet. Schröder sagte es der „New York Times“: ein Forum, das sich für Botschaften an Amerika eignet, weniger fürs Werben um Stimmen deutscher Bürger.

Nein, diese schwere Belastung der Beziehungen lässt sich – nach allem, was Amerika für Deutschland, für Berlin getan hat – kaum mit Wahlkampf begründen. Der Kanzler und sein Außenminister müssen ein Horrorszenario vor Augen haben, wenn sie zudem riskieren, sich in Europa zu isolieren. Kein anderes großes EU-Land hat sich so festgelegt, den USA diesmal die Gefolgschaft zu verweigern, selbst wenn ein UN-Mandat vorliegt.

Ein Horrorszenario? Schröder und Fischer treibt wohl kaum die Sorge, Amerika könne Irak nicht besiegen. Nein, sie warnen dunkel vor der Destabilisierung einer ganzen Region und nennen den Regimewechsel in Bagdad kein legitimes Kriegsziel. Dahinter steckt die Sorge, dass sich weder der Krieg noch der politische Umsturz auf den Irak begrenzen lässt – und auch das Kriegsziel nicht auf die Durchsetzung neuer Waffeninspektionen. Wenn der erste Schuss fällt, werde Saddams Sturz automatisch zum Kriegsziel. Ein Angriff auf Bagdad werde zu einer Solidarisierung der arabischen Massen mit Saddam führen, die labilen Regime im Mittleren und Nahen Osten gefährden und eine große Zahl junger Männer zu Selbstmordattentaten motivieren.

Wenn es Saddam zudem gelänge, Israel mit chemischen oder biologischen Waffen anzugreifen, dann werde dessen Regierung sich – anders als im Golfkrieg 1991 – nicht mehr zum Stillhalten bewegen lassen, sondern nicht-konventionell zurückschlagen: mit Atomwaffen. Eine solche Entwicklung sei nicht mehr zu beherrschen.

Mag schon sein, dass die USA heute gar nicht vorhaben, die Aufräumarbeiten nach dem Sieg im Irak den Europäern zu überlassen, wie auf dem Balkan, sondern bereit wären, jahrelang Truppen zu stationieren, bis sich eine neue Ordnung stabilisiert hat. Aber wenn im Zuge der Operation auch die Regime in anderen Staaten kippen – beim Haupt-Ölexporteur Saudi Arabien, in Jordanien oder Ägypten –, dann überfordert diese Aufgabe selbst die mächtigste Armee der Welt. Imperial overstretch nennen Politologen eine solche Überdehnung der Kräfte einer Weltmacht. Ein solcher Flächenbrand würde unverweigerlich große Gefahren, immense Finanzlasten und Exporteinbußen für Deutschland, für Europa heraufbeschwören.

Da lohnt es jeden Streit, um das Risiko einer so bedrohlichen Eigendynamik eines Angriffs auf den Irak abzuwenden. Denn selbst ein maximaler Schaden für das deutsch-amerikanische Verhältnis wäre im Vergleich dazu gering. Für Deutschland kann man nur hoffen, dass Schröder und Fischer mit ihren dunklen Warnungen nicht Recht behalten. Und, so gesehen: welche Erleichterung, wenn sich herausstellte, dass Schröder hier doch nur vom Wahlkampf getrieben ist.

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