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Wenn es nach Merkel persönlich ginge, fielen wohl noch weitere alte Zöpfe bei der CDU.

© dpa

Homo-Ehe: Aus der Zeit gefallen

Bei der Homo-Ehe und bei der doppelten Staatsangehörigkeit halten die Christdemokraten an einer Retro-Haltung fest - aus Angst vor den Wählern und um die eigene Identität, meint Malte Lehming. Dabei täte ein bisschen mehr Obama der CDU gut.

Amerikaner sind konservativ, auf jeden Fall konservativer als Deutsche. Dennoch wurde Barack Obama mit einer linken Agenda wiedergewählt. Er warb als erster US-Präsident für die Homo-Ehe, forderte eine Reform des Einwanderungsrechts, stritt für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns und für eine Vermögensteuer. Am Ende hatte er fast alle Wählergruppen auf seiner Seite, bis auf eine – die der alten weißen Männer. Doch die schrumpft sowieso. Die Zeichen der Zeit deuten auf die Themen Teilhabe und Gerechtigkeit. Das hatte Obama erkannt.

Auch Angela Merkel hat das erkannt. Nur ist sie nicht Vorsitzende einer progressiven, sondern einer wertkonservativen Partei. Das macht es für sie schwieriger, das Wissen um die Zeitläufte in eine politische Praxis zu übersetzen. Dennoch hat sie mit Zumutungen an ihre Basis nicht gegeizt. Papst-Schelte, Beschleunigung des Atomausstiegs, Mindestlohn: Längst kursiert das Wort von der „SPD-Kanzlerin“. Das allerdings ist etwas gemein. Denn eine waschechte „CDU-Kanzlerin“ ist heutzutage nur noch schwer vorstellbar. Eine Regierungschefin, die gegen die Homo-Ehe wettert und von Einwanderern patriotische Treueschwüre verlangt, würde wie aus der Zeit gefallen wirken.

Das war noch vor 14 Jahren anders. In Hessen polarisierte Roland Koch radikal national mit seiner Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsangehörigkeit, in Nordrhein-Westfalen zog Jürgen Rüttgers gegen die Anwerbung ausländischer Computer-Experten mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ ins Getümmel, über die rot-grüne Variante der Homo-Ehe wurde laut gelästert, Mindestlöhne zeugten von sozialistischer Verblendung. Und dann der Atomausstieg! Grüner Eskapismus war das, mitgetragen von schwachen Sozis. All das ist vorbei. Selbst in den Medien finden sich allenfalls Spurenelemente der traditionellen konservativen Ideologie.

Das freilich liegt weniger an Merkel als an den großgesellschaftlichen Trends. Wie überzeugend aktuell plötzlich SPD, FDP, Grüne und Linke wirken, wenn sie für Homo-Ehe und doppelte Staatsbürgerschaft plädieren! Und wie gestrig die Union, die sich halb verzweifelt, halb verbissen an ein Weltbild klammert, an das selbst ihr der Glaube abhandengekommen ist. Man hört kein überzeugendes Gegenargument mehr, sondern spürt lediglich die Angst vor dem Verlust dessen, was einst als Identität empfunden wurde. Daraus resultiert eine trotzige Retro-Haltung, deren intellektueller Charme sich in den Auftritten von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erschöpft.

Dabei ließe sich in einem Land mit 10,7 Millionen Migranten, Tendenz weiter steigend, eine moderne Einwanderungspolitik durchaus konservativ und pragmatisch begründen. Auch die Homo-Ehe, Betonung auf Ehe, wäre in diesem Sinne vermittelbar. Vielleicht ist weniger das Konservative an sich in der Krise als der konservative Diskurs über die neuen Realitäten.

Obama macht vor, wie es anders geht. Er greift in seinen Reden auf Prinzipien wie Gleichheit, Humanität, Integration und Befreiung zurück – und klingt auf faszinierende Weise gegenwärtig. Schließlich wollen die meisten Menschen nur, dass in der Politik das Richtige getan wird, und das Richtige ist stets das, was sie einsehen. Egal, ob links oder rechts.

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