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Meinung: Humboldts erste Wahl

Alle drei Berliner Universitäten wechseln in diesem Jahr ihre Präsidenten, Das Superwahljahr wird zu einer Richtungsentscheidung.

Bei Universitäten handelt es sich nicht um tote Materie, sondern um lebende Organismen. Als solche sind sie von ihrer Geschichte geprägt und haben eine kollektive Identität, ja, eine kollektive Psyche. Das muss verstehen, wer verstehen will, warum nicht jeder Präsident zu jeder Uni passt. Und warum die Humboldt-Universität in ihrem soeben nominierten Präsidentschaftskandidaten, Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Jan-Hendrik Olbertz, den richtigen Mann zur richtigen Zeit sieht.

Die Fahnen der HU hängen auf halbmast. Seit Jahren hat die Uni Pech mit ihrer Führung. Das hat ihrem stolzen Charakter einige Demütigungen beigebracht. Zuerst, im Jahr 2005, verließ Präsident Jürgen Mlynek die Uni mitten in der Vorbereitung auf den Exzellenzwettbewerb. Die HU scheiterte schon in der Vorrunde, ein Fiasko.

Der nach quälend langer Suche schließlich mit Begeisterung gewählte Theologe Christoph Markschies enttäuschte schwer. Er verkämpfte sich in ungezählten Konflikten und musste eine weitere Niederlage im Exzellenzwettbewerb verantworten. Auch sonst steht Markschies aus Sicht vieler Humboldtianer für Stagnation.

Auf diese Lage antwortet die Uni nun mit einer Lösung, die sie vor fünf Jahren bestimmt noch nicht angestrebt hätte. Damals empfahl sich ein Professor vor allem durch seine herausragende wissenschaftliche Karriere für das Amt des Präsidenten. Jetzt hat die HU verstanden, dass der Leibnizpreis kein Garantiesiegel für eine gute Leitung darstellt. Sie hebt lieber einen Mann auf den Schild, der seit Jahren in der Unipolitik mitmischt.

Tatsächlich ist Olbertz zuzutrauen, dass er das Psychogramm der HU lesen kann und eine Strategie entwickelt, die zu ihr passt. Olbertz wird die HU auch durch neue Verteilungskämpfe führen müssen. Denn für die nächste Runde im Exzellenzwettbewerb muss sie ihr wissenschaftliches Profil neu festlegen. Gut also, dass dem Erziehungswissenschaftler Geschick beim Umgang mit Menschen nachgesagt wird. Denn eine Uni lässt sich nicht mit Befehlen leiten.

In diesem Punkt, der Erwartung, dass ein Unipräsident kommunizieren können muss, besteht die entscheidende Schnittmenge bei der Kandidatensuche im Berliner Uni-Superwahljahr. Einfühlsamkeit und Überzeugungskraft machen den erfolgreichen Kandidaten. Das war vor der HU schon an der TU zu beobachten. Hier unterlag im Januar der angesehene Spitzenmathematiker Martin Grötschel dem damaligen Vizepräsidenten Jörg Steinbach. Grötschel hatte auf die Gefühlslage der Uni nicht sensibel genug reagiert. Auch die FU sucht einen kommunikativen Präsidenten. Um Elite zu werden, war Dieter Lenzen der richtige. Aber sein zunehmend autoritäres Gebaren hat viele ermüdet. Jetzt suchen sie eine Leitung mit Fingerspitzengefühl – nicht zu verwechseln mit Führungsschwäche.

Wie es an der FU auch ausgeht: Die HU hat sich mit ihrer Vorauswahl im Berliner Haifischbecken klug positioniert. Ihre Angehörigen können im Jahr des 200. Unijubiläums mit neuer Zuversicht nach vorn blicken.

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