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Unser Kolumnist Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Publikumsverblödung statt Empathie

Empathie bedeutet, dass man die Emotionen eines anderen Menschen nachempfinden kann, damit man Mitleid verspürt. Viel, von dem was in den vergangenen Tagen in Deutschland zur Katastrophe in Japan gesagt wurde, war da nicht unbedingt hilfreich.

Angst, so viel wissen wir ja seit Rainer Werner Fassbinder, essen nicht nur Seele auf – vorher macht Angst anscheinend auch noch blind und taub und dumm. Aber vielleicht ist das ja gar keine Angst, was seit Montag die Deutschen erfasst hat – seit sie glauben, eine Wolke würde aus Japan Radioaktivität herbringen; seit sie Jodtabletten in Apotheken kaufen; seit Geigerzähler knapp werden; seit die Bundesregierung eine noch nie dagewesene Wende in Haltung und Aussage gemacht hat; seit man sich wieder an Orte wie Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg erinnert. Vielleicht ist all das keine Angst – vielleicht ist das ein erschütternder Mangel an Empathie.

Nur zur Erinnerung: Vergangenen Freitag bebte in Japan die Erde wie sie noch nie gebebt hat, danach kam ein Tsunami über das Land. Zwei Naturkatastrophen, die Städte zerstörten, Menschen töteten, Familien auseinander rissen und ein Volk in Trauer zurückließ. Man konnte die Fernsehbilder nicht fassen, die Fassungslosigkeit über die Katastrophe auf dem Bildschirm ist nur vergleichbar mit der Fassungslosigkeit, die man verspürte, als man am 11. September 2001 Flugzeuge sah, die ins New Yorker World Trade Center flogen. Das Fernsehen zeigt uns seit vergangenen Freitag die Bilder aus Japan – es sind schreckliche Bilder, Bilder von Müttern, die den Tod ihrer Kinder beklagen, Bilder von verwüsteten Landschaften – Bilder, die eigentlich ausreichen müssten, um dem Rest der Welt klar zu machen, was da gerade eigentlich passiert.

Dem ZDF reichen diese Bilder nicht. In dieser Woche zeigte der Sender im heute-journal einen Einspieler, für den kurz danach das Wort "Katastrophenclip" erfunden wurde – katastrophal ist vor allem die Machacht: Die bereits bekannten Bilder wurden hintereinander geschnitten, dazu wurde ein Lied gespielt, das traurige Lied "Teardrops" der Band Massive Attack. So heißt die Band. Massive Attack.

Keine Ahnung, ob die drei Mitglieder der Band wissen, was das ZDF mit ihrem Lied angestellt hat. Als das erste Album der Band erschien, das Meisterwerk "Blue Lines", begann der Irak-Krieg, das war im Januar 1991, deswegen strich die Band das Wort Attack aus ihrem Namen – wahrscheinlich war das ein Akt der Empathie, des ehrlichen Entsetzens – ein Akt, der in diesen Zeiten vielen fremd geworden ist.

Die Naturkatastrophen in Japan führten auch zu einer anderen Katastrophe – Atomkraftwerke gerieten außer Kontrolle, und in dem Moment schien das Schicksal Japans und der Japaner egal. In dem Moment, in dem über einen möglichen Super-Gau gesprochen wurde, gab es plötzlich keine Naturkatastrophe mehr, sondern nur noch Katastrophenszenarien vor der Haustür. Es schien, als würde das Mitgefühl verschwinden und an die Stelle der Empathie stand wieder der Narzissmus, als die Empathie gegenüber sich selbst: Und was ist mit uns?

Tja, was soll sein? Uns geht es ja im Vergleich noch relativ gut, oder? Manchen geht es sogar ziemlich gut, denn man konnte in dieser Woche Politiker erleben, die sich fast schon freuten über das, was in Japan geschah: ein Atomunglück zur rechten Zeit – kurz vor Landtagswahlen. Endlich konnten einige Politiker wieder darauf hinweisen, dass sie ja schon immer für den Atomausstieg waren, dass sie es ja schon immer gesagt hätten... ob manche dieser Politiker im Stillen gejubelt haben?

Der Kabarettist Dieter Nuhr sagte Donnerstagabend in der ARD-Sendung "Satire-Gipfel", ihn widere das alles an. Sein Auftritt war der beste "tagesthemen-Kommentar", der in dieser Woche nicht gehalten wurde. Obwohl die ARD im vergleich zum Paniksender ZDF vieles richtig gemacht hat, vor allem dank Ranga Yogeshwar. Der Wissenschaftsexperte hätte den Zuschauern auch wahnsinnig auf den Geist gehen können, so oft musste er in der ARD ran – aber wie er die Vorgänge in den japanischen AKWs erklärte, wie er nüchtern und sachlich blieb – wie er nie Panik schürte, das war schon eine große Leistung. Der Mann blieb auch dann noch ruhig, wenn er dümmste Zuschauerfragen beantworten musste, so wie die, ob man jetzt noch ohne Sorge Fischstäbchen essen könne. Man hätte noch nie ohne Sorge Fischstäbchen essen können, sagte Yogeshwar da ohne den Anflug von Menschenekel. Das liege aber vor allem an den schwindenden Fischbeständen.

Während Yogeshwar in der ARD für Aufklärung sorgte, kümmerte man sich im ZDF um die Publikumsverblödung. Das begann damit, dass man – wahrscheinlich um zu zeigen, wie modern man in Mainz ist – Zuschauerfragen aus dem Gästebuch unredigiert vorlas, was dann leider nur im ersten Augenblick komisch ist, wenn es heißt "Karlchen 77 möchte wissen..." Und ganz egal, was einer wissen möchte, ein ZDF-Redakteur aus dem Ressort Umwelt wies daraufhin, dass ein Wolke von Japan kommen könnte. Könnte! Unwahrscheinlich zwar, aber man wisse ja nie... Eine Wolke könnte kommen. Wie viele Menschen starben in Japan?

Empathie bedeutet, dass man die Gedanken und Emotionen eines anderen Menschen nachempfinden und erkennen kann, damit man Mitleid und Trauer und Schmerz empfindet. Damit man in der Lage ist zu helfen. Vieles in den vergangenen Tagen war nicht hilfreich.

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