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Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Wer zufrieden ist, der ist sehr einsam

Protestpotenzial gibt es genug: Gegen Talkshows, gegen Bahnprojekte. Matthias Kalle ist auch gegen etwas, nämlich gegen die Gründung einer Protestpartei - aber er denkt vielleicht doch noch mal drüber nach.

Was man ja auch nicht wusste, eigentlich nicht einmal ahnte: dass es offensichtlich relativ einfach ist, in Deutschland eine Partei zu gründen. Denn im Prinzip könnte es morgen schon eine neue Partei geben: Name, Führungsspitze, Wähler - scheint alles bereits da zu sein.

Einen Grund gibt es auch für diese Partei. Der Grund soll der sein, dass sich viele Menschen in den Programmen der bereits bestehenden Parteien nicht mehr wieder finden. Vor allem soll das für Menschen gelten, die sehr konservativ sind, am rechten Rand der CDU stehen, Thilo Sarrazin zustimmen, Erika Steinbach womöglich auch. Die aber vor allem dagegen sind: gegen diese CDU, gegen diese Kanzlerin, gegen die Art, wie man in Deutschland gerade so lebt. Deshalb soll es sich um eine so genannte Protestpartei handeln. Sie könnte "Die Frustrierten" heißen. Die Führung dieser Partei könnten Thilo Sarrazin, Erika Steinbach, Wolfgang Clement, Friedrich Merz und Roland Koch übernehmen. Zwanzig Prozent der Deutschen würden unter Umständen so eine Partei wählen.

Ich nicht. Ich bin gegen eine Protestpartei. Ich wähle seit 17 Jahren immer die gleiche Partei. Jedes Mal. Das ist nicht immer lustig, aber was soll ich machen? Eine Partei gründen, nur weil es einmal nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle? Ich suche mir ja auch keine neue Frau, wenn ich mal genervt bin oder mit Entscheidungen, die sie trifft, nicht einverstanden. Deshalb gründe ich jetzt auch keine Protest-Protest-Partei - ich bin im Grunde genommen versöhnt mit den Dingen, die ich habe. So einer hat im Moment natürlich keine Lobby, um mich kümmert sich niemand. Wer zufrieden ist, der ist sehr einsam.

Vielleicht sollte ich nach Stuttgart ziehen, um mein Erregungspotenzial etwas aufzufrischen - in Stuttgart haben sie ja jetzt eine Protestkultur, die ein wenig an die Trimm-Dich-Bewegung der 70er Jahre erinnert: Alle machen mit, aber kaputt gemacht werden darf nichts, im Gegenteil. Die, die den schönen Bahnhof kaputt machen, die sollen verschwinden. Im Fernsehen sah ich einen Bericht, in dem ein Stuttgarter einen Bauarbeiter, der hoffentlich nicht schwarz, möglicherweise aber für einen Mindestlohn schwere Arbeit verrichten muss, stakkatoartig "Arschloch!" schimpfte, so als habe dieser Bauarbeiter sich das ganze Projekt mit dem Namen "Stuttgart 21" ganz alleine beim Feierabendbierchen ausgedacht.

"Protestlust und Parteienfrust" lautete am Donnerstagabend das Thema in der Talkshow von "Maybritt Illner" im ZDF. Es wird ja im kommenden Jahr sehr, sehr viele Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geben. Montags "Hart aber fair" in der ARD; dienstags "Beckmann" in der ARD, "Markus Lanz" im ZDF, "Harald Schmidt" in Sat 1; mittwochs "Anne Will" in der ARD, "Markus Lanz" im ZDF, "Kerner" in Sat. 1; donnerstags "Maybritt Illner" im ZDF, "Maischberger" in der ARD, "Markus Lanz" im ZDF, "Harald Schmidt in Sat 1, "Ina Müller" in der ARD; freitags: verschiedene Talkshows in den Dritten, "Oliver Pocher" in Sat. 1; Samstag ist frei; sonntags "Günther Jauch" in der ARD.

Die müssen ja dann auch alle über was reden, darüber, dass ja gerade jeder gegen irgendwas protestieren will. Darüber, dass es möglicherweise eine neue Partei geben könnte. Darüber wie man das alles denn eigentlich so findet.

Volker Herres, der Programmdirektor der ARD, sagte in dieser Woche: "Talk ist geil im Fernsehen, die Leute mögen das." Komisch, dass der Tagesspiegel nicht voll ist mit Interviews - wo die Leute das doch so mögen.

Vielleicht mögen das aber die Leute gar nicht. Vielleicht gehen die nächstes Jahr auf die Straße, um ihren Unmut auszudrücken. "Gegen den Talk! Für mehr Tier-Dokus!" Oder so. Ich sehe da jetzt schon ein gewaltiges Protestpotenzial. Vielleicht sollte ich doch über die Gründung einer Partei nachdenken.

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