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Meinung: „Ich hatte die Faust in der Tasche“

Als Jürgen Klinsmann im September 2004 seine Mannschaft in Berlin erstmals mit grünen Gummibändern um die Fesseln üben ließ, titelte die „Bild“: „Nationalelf trainiert Gummitwist – Spielen wir jetzt besser Fußball?“ Deutschland spielte besser und trotzte dem fünfmaligen Weltmeister Brasilien ein 1:1 ab.

Als Jürgen Klinsmann im September 2004 seine Mannschaft in Berlin erstmals mit grünen Gummibändern um die Fesseln üben ließ, titelte die „Bild“: „Nationalelf trainiert Gummitwist – Spielen wir jetzt besser Fußball?“ Deutschland spielte besser und trotzte dem fünfmaligen Weltmeister Brasilien ein 1:1 ab. Mittlerweile aber stimmen die Ergebnisse nicht mehr. Die Niederlage in der Türkei war die zweite im vierten Spiel seit dem Confed-Cup. Bis zur Weltmeisterschaft sind es noch sechs Spiele, und die Mut und Hoffnung stiftende Erneuerung des deutschen Fußballs unter Klinsmann ist einer gewissen Ernüchterung gewichen. „Natürlich hatte ich am Spielfeldrand die Faust in der Tasche“, sagte Klinsmann in Istanbul.

Klinsmann ist im Auftreten verbindlich, umgänglich, smart. Aber er denkt und handelt schnell, kühl, kompromisslos. In Kalifornien, wo der 41 Jahre alte Schwabe seit sieben Jahren lebt, ging er bei führenden Geschäftsmännern in die Lehre. Er kam mit anderen Denkweisen in Berührung, dort hat er gelernt, seine Linie knallhart durchzuziehen und dabei keine Zeit zu verlieren. Anfangs ließen Klinsmanns Tempo und Reformwille aufhorchen. Von Mentalitätswechsel, Aufbruchstimmung und Kulturschock war die Rede. Klinsmann ließ amerikanische Fitnesstrainer einfliegen, verpflichtete einen Psychologen und engagierte einen Schweizer als Chefscout. Dass das nicht nur auf Gegenliebe stoßen würde, nahm der Mann mit den zwei Wohnsitzen Stuttgart-Botnang und Los Angeles/Huntington Beach bewusst in Kauf. Die Deutschen müssten freier und offener werden für Neues.

Für Uli Hoeneß vom FC Bayern ist Jürgen Klinsmann „ein guter Schauspieler und ein guter Verkäufer seiner Person“. Fragend warf der mächtigste Manager des deutschen Fußballs vor ein paar Monaten ein: „Ob das mit Klinsmann gut geht, weiß man nicht.“

Die Boulevard-Medien begleiten Klinsmann seit seinem ersten Tag im Amt mit Skepsis. Beim Confed-Cup wurde er gefeiert, weil das Publikum einen Zusammenhang hergestellt hatte zwischen seiner Arbeit und dem mutigen Spiel der Elf. Bleibt Letzteres aus, wie jetzt, wird nicht die Elf, sondern Klinsmann kritisiert. Er registriert das, ohne sich davon in seiner Arbeit beeinflussen zu lassen. Das Ziel WM-Titel wird nicht korrigiert, hat er gesagt: „Damit würden wir der Mannschaft zeigen, dass wir nicht an sie glauben. Aber wir glauben an sie.“

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