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Meinung: Identitätssuche am Kamin

Der EU-Gipfel in Hampton Court ist ein Betriebsausflug, kein Arbeitstreffen

Hampton Court, der Palast HeinrichVIII., ist nicht gerade ein Ort britisch-französischer Eintracht. Hier wurden schon vor knapp einem halben Jahrtausend Verträge zwischen den europäischen Rivalen geschlossen, die dann wieder gebrochen wurden. Man wird sehen, wie haltbar der Burgfrieden sein wird, den Tony Blair und Jacques Chirac dort beim heutigen EU-Gipfel zu zimmern versuchen.

Seit dem gescheiterten Haushaltsgipfel im Juni und Tony Blairs feuriger Rede vor dem EU-Parlament, mit der er die britische Ratspräsidentschaft einläutete, wird über die künftige Ausgaben-, Sozial- und Wirtschaftsphilosophie Europas gestritten. Die rot-grünen Wahlkämpfer versuchten gemeinsam mit dem alten Mann in Paris noch einmal das neoliberale Gespenst mit angelsächsischem Antlitz an die Wand zu malen. Aber die europäischen Riesen hatten keine Konzepte vorzuweisen, wie die EU fit für den globalen Wettbewerb gemacht werden kann. Warum sollte irgendjemand auch gerade den beiden kranken Volkswirtschaften des Kontinents glauben, dass sie die besseren Ideen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa hätten. Was die Zahlen anbelangt, haben die Briten also die besseren Argumente.

Dennoch ist Blair kein Durchmarsch geglückt. Weil die Wahl in Deutschland kein eindeutiges Reformvotum ergeben hat und das große Land in der Mitte Europas durch die schwierige Regierungsbildung gelähmt bleibt. Zum anderen mussten die Briten erkennen, dass gute Argumente nicht reichen, um in Konsenseuropa etwas zu bewegen. Entsprechend kompromissbereit hat sich Blair vor dem Gipfel gezeigt und etwa die Idee der Kommission unterstützt, einen „Globalisierungs-Anpassungs-Fond“ zu gründen, der Arbeitslosen helfen soll, mit besserer Ausbildung einen neuen Job zu finden.

Die Briten stapeln dennoch tief. Mit einer gemeinsamen Erklärung ist nicht zu rechnen. Das Treffen in Hampton Court sei eher eine Art europäischer Betriebsausflug ohne Beamte und vorformulierte Abschlusstexte. Sinn der Veranstaltung: Die Staatenlenker sollen sich in einem informellen Brainstorming darüber austauschen, wie sie Europa wirtschaftlich und sozial neu ausrichten wollen, um mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze zu erreichen.

Ein Kontinent sucht ein Konzept und einen Ausweg aus der sich breit machenden Zukunftsdepression. Die demografische Entwicklung wird alle Sozialsysteme Europas in den nächsten Jahrzehnten an den Rand des Kollaps führen, und die Konkurrenz in Asien holt weiter auf. Derweil nimmt Tony Blair wieder Tempo aus der britischen EU-Lokomotive, um möglichst viele Staaten mitzunehmen.

Das zeugt von Realismus. Es bedeutet aber auch, dass die Briten bis zum Ende des Jahres wohl keinen Haushaltskompromiss zu Stande bringen. Und es wirft die Frage auf, ob die Prozesse der Willensbildung in Europa schnell genug sind, um mit den rasanten Entwicklungen außerhalb des Kontinents mithalten zu können. Die EU ist schließlich keine Insel – auch wenn viele Europäer oft so tun, als könnten sie sich hinter ihrem Burggraben gegen die Welt da draußen verschanzen.

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