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Meinung: Im Generalstab

Von Jörn Thiessen WO IST GOTT Kann einem der Herr ausgerechnet im Ministerium der Verteidigung über den Weg laufen? Das mag vielen ein fremder Gedanke sein.

Von Jörn Thiessen

WO IST GOTT

Kann einem der Herr ausgerechnet im Ministerium der Verteidigung über den Weg laufen? Das mag vielen ein fremder Gedanke sein. Wer aber ein Gespür für die Wege des Schöpfers hat, wird nicht völlig von den Socken sein, wenn ihm auch dort ein Teil der Trinität begegnet. Der Geist weht, wo er will.

Mir begegnete er dort in den Zeiten des KosovoKrieges 1999. Damals ging es bekanntlich nicht um ein „mögliches Szenario", sondern um konkret bedrohte und ermordete Menschen. Die Politik hatte sich zur Intervention entschieden. Die Konsequenzen lagen auf den Schultern der Soldaten und derer, die Befehle zu geben hatten. Den „war room“ stellen sich Außenstehende vor, wie dutzend Mal im Kino gesehen: Irgendwo im Berg verborgen, Offiziere rennen zackig vor Landkarten herum, jemand brüllt Befehle, Knöpfe werden gedrückt, und dann jubelt die Runde, wenn irgendwo ein Treffer gelandet wurde. Zwischendurch hat ein General mal Skrupel oder ein moralisches Problem, das dann meist durch eine charmante Frau auf die eine oder andere Weise gelöst wird.

Auch ich war oft im Kino gewesen und zuerst ganz enttäuscht, weil diese Atmo bei der Bundeswehr völlig fehlte. Das Führungszentrum ist ein extrem nüchterner Ort, mehr Konferenzraum als Einsatzzentrale. Förmlich geht es schon zu, aber nicht zackig. Kinogänger kämen nicht auf ihre Kosten.

An den Einsatzlagen waren viele beteiligt: oft übernächtigt, meist blass. In den Uniformen Menschen, die vor langer Zeit den Dienst in der Bundeswehr unter ganz anderen Bedingungen angetreten hatten, die alles über den Kalten Krieg wussten und die Logik der Abschreckung. So richtig ernst wurde es aber erst jetzt.

Mitten in den Vorträgen, Folien und düsteren Daten, da wehte plötzlich der Geist des Herrn durch den Raum. Ich sah ihn auf den Gesichtern derer, die auf die Bildschirme schauten und denen klar war, dass jedes theoretische Szenario an sein Ende gekommen war. In den Flugzeugen aber auch in den Radarstellungen, die sie bombardierten, saßen Menschen. Und es musste geschehen, um andere am Boden davon abzuhalten, noch mehr Tod und Vertreibung auszusäen als schon geschehen.

Keine Illusionen waren im Raum, keine falschen Erwartungen, sondern eine Bitte: Es möge gut gehen. Und an wen sonst war die gerichtet als an den Heiligen Geist? Jeder der damals Beteiligten mag es heute beurteilen, wie er will: Ich sah Menschen, die im Bewusstsein der Folgen ihr Tun abwogen und sich über die möglichen fatalen Risiken Rechenschaft ablegten. Krieger habe ich nirgendwo gesehen und auch keine Helden. Und gespürt, dass Gott auch an diesem Ort zu Hause sein kann. Als Heiliger Geist, der hoffen lässt, der Mut macht und der sogar hier Menschen trösten kann, die Entscheidungen fällen, die jeder gern vermieden hätte.

Der Autor ist Pastor, leitete das Ministerbüro von Rudolf Scharping und ist heute Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in Straußberg.

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