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Meinung: Im Grunde von gestern

Eine Studie belegt: Die Bedrohung durch Saddam wurde übertrieben – die Amerikaner lässt das kalt

Die Vorgeschichte des Irak-Krieges ist erforscht. Man weiß, dass die Bush-Regierung die Bedrohung durch das Saddam-Regime übertrieben hat. Meinungen wurden in Fakten umgewandelt. Auf die Geheimdienste wurde politischer Druck ausgeübt, besonders durch Vizepräsident Dick Cheney. Einschränkungen oder Zweifel wurden unter den Teppich gekehrt. Die angeblichen Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zu Al Qaida, die US-Außenminister Colin Powell vor knapp einem Jahr theatralisch dem UN-Sicherheitsrat präsentierte, haben sich in Luft aufgelöst.

Selbst George W. Bush gibt inzwischen zu, dass Saddam Hussein nichts mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu tun hatte. Von Massenvernichtungswaffen fehlt, trotz intensiver Fahndung, jede Spur. David Kay, der Leiter der 1400 Mann starken Truppe, die seit Monaten den Irak auf der Suche nach diesen Waffen durchkämmt, wird wohl demnächst seinen Dienst quittieren. Selbst die These, dass Saddam sein Arsenal kurz vor dem Krieg ins benachbarte Ausland gebracht hat, darf als widerlegt gelten. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er diese Waffen gar nicht hatte. Die zentrale öffentliche Begründung der US-Regierung für ihren Krieg ist damit zusammengebrochen. Es ist ein Skandal, der zum Himmel stinkt.

Dennoch rümpft kaum einer in den USA die Nase. In einer zentralen Frage der nationalen Sicherheit wird die Bevölkerung hinters Licht geführt – und es kümmert sie nicht. Am Donnerstag veröffentlichte die „Carnegie Endowment for International Peace“ eine Studie, die die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Zwar seien Iraks Waffenprogramme langfristig gefährlich gewesen, nicht aber akut. Die UN-Waffeninspekteure hätten gute Arbeit verrichtet. Deren Erkenntnisse jedoch seien ignoriert worden. Insgesamt wurde die Bedrohung übertrieben dargestellt. Auf den ersten Seiten der überregionalen US-Tageszeitungen sucht man am Freitag vergeblich nach dieser Studie. Die „New York Times“ zitiert sie auf Seite acht. In den elektronischen Medien wird sie kaum erwähnt.

Die Lösung dieses Rätsels besteht aus mehreren Teilen. Unabhängig von der offiziellen Rhetorik ihrer Regierung hat die Mehrheit der Amerikaner das Gefühl, der Sturz Saddam Hussein sei eine gute Sache gewesen. Ein Despot weniger, ein freies Volk mehr. Die Bilder der Massengräber bestätigen sie. Die befürchtete Instabilität in der Region ist nicht eingetreten. Im Gegenteil: Plötzlich werden die iranischen Mullahs zahm, Libyens Gaddafi kapituliert, die Syrer machen Israel wieder Friedensofferten. In der Wahrnehmung dominiert der Kollateralnutzen des Krieges. Das Fadenscheinige in seiner Begründung ist in den Hintergrund getreten.

Hinzu kommt, dass es keinen handfesten Beweis für Lug und Betrug gibt. Hat Bush irgendwann wissentlich die Unwahrheit gesagt? Das lässt sich bislang nicht nachweisen. Geheimdienste haben geschlampt. Gerüchte, die irakische Dissidenten gestreut hatten, wurden überbewertet. Für Saddam galt: Im Zweifel gegen den Angeklagten. Das erklärt, warum selbst Bill Clinton noch im Oktober absolut überzeugt davon war, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Dies wurde vor dem Krieg auch nicht von Frankreich, Deutschland oder Russland in Frage gestellt. Heute freilich sind alle klüger. In Amerika wird der Erkenntnisgewinn auf eine knappe Formel gebracht: Dann haben wir eben aus falschen Gründen das Richtige gemacht.

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