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Meinung: Im Hamsterlaufrad

Kurt Becks neuester Flirt mit der FDP: Die große Koalition kommt nicht zur Ruhe

Endlich die Wende! Es geht bergauf. Die Wirtschaft ist in Schwung geraten, der Ölpreis sinkt, der Dax steigt, neue Arbeitsplätze entstehen, die Mehrwertsteuererhöhung darf bereits als verkraftet gelten, der Haushalt entspricht wieder der Maastrichtnorm. Ein knappes Jahr Merkel-Regierung: Die Bilanz ist so schlecht nicht. Und auch gestern wurde wieder ganz handwerklich gearbeitet. Das Kabinett beschloss den Gesetzentwurf für die Gesundheitsreform, plus den zur Erbschaftsteuerreform, und es beriet die Grundsätze für die künftige deutsche Sicherheitspolitik. Natürlich gab es auf dem Weg dorthin Ärger, Streit und Polarisierungen. Aber zählt nicht allein das Ergebnis?

Nein, das tut es leider nicht. Es ist wie verhext: Je größer die Erfolge der großen Koalition, desto geringer ihr Ansehen. In den Umfragen, aktuell Forsa, liegt die Union bei 30, die SPD bei 29 Prozent. Der Hang zur Selbstzerfleischung – die jeweiligen Parteistrategen nennen es die Arbeit am eigenen Profil – hält unvermindert an. Dass ein Volk sich eine andere Regierung wünscht, kommt relativ oft vor. Dass eine Regierung sich eine andere Regierung wünscht, ist eher selten. Doch es passiert, jüngstes Beispiel Kurt Beck. Der ist zwar kein Teil der Regierung, aber immerhin Vorsitzender der SPD. In dieser Funktion spricht er genüsslich aus, wovon seine sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder nur träumen dürfen.

Ausgerechnet in dieser, der großkoalitionären Kabinettsbeschlusswoche umwirbt Beck die FDP als Partner. In der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ erinnert er aus eigenem Antrieb die Liberalen an ein Datum, das sie selbst fast vergessen hatten – den 35. Jahrestag der „Freiburger Thesen“. Mit diesem Programm hatte die FDP einst die sozialliberale Koalition theoretisch begründet. Beck empfiehlt ihr heute die Rückkehr zu einem „unideologischen Pragmatismus“. Sie müsse Abschied nehmen von einer „als marktliberal kaschierten Klientelpolitik“ hin zu einer Politik für die „wirklichen Leistungsträger“. Unausgesprochen, aber zwischen den Zeilen wie fett gedruckt lesbar, steht: Wir beide, SPD und FDP, könnten prima zusammen.

Was ist es nur, das diese Regierung nicht zur Ruhe kommen lässt? Numerisch stark, ist ihr Fundament marode. Angela Merkel wurde Kanzlerin, obwohl sie die Bundestagswahl im Gefühl des Volkes und vieler Christdemokraten verloren hatte. Die SPD wurde abgewählt und blieb doch an der Macht. Das Restmaß an sozialdemokratischer Reformbereitschaft lähmt der Einzug der Linkspartei ins Parlament.

Immer deutlicher wird: Diese große Koalition hat kein Projekt, keinen Überbau, keine Richtung, keinen Geruch. Charakter und Kontur entwickeln die Beteiligten nur im Gegeneinander. Sie stimmen, weil der Koalitionsvertrag es verlangt, gemeinsam ab – und belauern sich doch gleichzeitig argwöhnisch. Sie bringen sich in Stellung für einen imaginären Scheidungstag X. Dieses verdrießliche Schauspiel überdeckt alles andere. Die große Koalition ist nicht besser als ihr Ruf, sie ist ihr Ruf.

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