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Meinung: Im Keim angelegt

Biowaffen-Abwehr: Wenn Sicherheitslabore zum Risiko werden

Alexander S. Kekulé Die Bekämpfung von Seuchenerregern war noch nie so wichtig wie heute. Ein tödliches Grippevirus könnte weltweit Opfer in zweistelliger Millionenzahl fordern. Auch neue Krankheiten aus dem Tierreich bedrohen den Menschen – Aids, Sars und Ebola waren erst der Anfang. Schließlich erfahren im Zeitalter der asymmetrischen Kriegsführung die biologischen Waffen eine traurige Renaissance.

Amerika hat nach dem 11. September und den Milzbrandanschlägen 2001 ein historisches Seuchenbekämpfungsprogramm aufgelegt. Das Budget für biologische Sicherheit wurde bis 2004 mehr als verzehnfacht, auf astronomische 5,5 Milliarden Dollar jährlich – doppelt so viel wie die MondlandeMission Apollo zur Verfügung hatte. Im ganzen Land werden wie Festungen gesicherte Labore für die Forschung an Krankheitserregern gebaut. Die Zahl der Hochsicherheitstrakte für die gefährlichsten Viren und Bakterien (Level 4) soll von derzeit vier auf zehn erhöht werden, zusätzlich entstehen 19 neue Labore der zweithöchsten Stufe (Level 3), die beispielsweise für Milzbrand- oder Tuberkulosebakterien erforderlich ist. Insgesamt erhöhen die USA damit ihre Laborkapazität für gefährliche Infektionskrankheiten auf mehr als das Dreifache.

Jetzt erlitt die nationale „Biodefence“-Euphorie jedoch einen herben Rückschlag. Ausgerechnet die renommierte Boston University hatte gleich mehrere Unfälle mit dem gefährlichen Erreger der Hasenpest (Tularämie) monatelang nicht bemerkt. Als im Mai 2004 zwei Mitarbeiter des Tularämie- Labors ungewöhnliche Krankheitssymptome bekamen, schöpfte niemand Verdacht. Erst Ende Oktober, nachdem ein dritter Mitarbeiter für mehrere Tage ins Krankenhaus musste, stellten die Bioabwehr-Experten die richtige Diagnose: Alle drei Forscher hatten sich mit Tularämie infiziert. Ein vermeintlich ungefährlicher Stamm des Bakteriums hatte sich unbemerkt mit dem gefährlichen „Wildtyp“ vermischt – wie und warum, konnte nicht ermittelt werden. Doch damit nicht genug. Weil der Bostoner Stadtrat gerade über ein von der Universität beantragtes Level-4-Labor beriet, hielt man die prekären Zwischenfälle vor der Öffentlichkeit geheim. Erst vergangene Woche brachten die Medien die Sache ans Licht.

Damit die Forscher nicht am Ende den Teufel mit Beelzebub austreiben, müsste der Umgang mit Infektionserregern strenger überwacht werden. In den letzten Jahren sind Tularämie-Bakterien und andere potenzielle Biowaffen bereits mehrmals unkontrolliert aus US-Laboren entkommen, bisher zum Glück ohne Todesfolge. Auch die Lungenseuche Sars bedroht die Menschheit vom Labor aus: Nach Unfällen in Singapur und Taiwan infizierten sich zuletzt ein Student und eine Studentin in Peking. Die Studentin löste eine Kleinepidemie mit sieben Erkrankungen aus, ihre Mutter starb an dem Virus.

In Deutschland wird die Bekämpfung der Infektionskrankheiten vergleichsweise stiefmütterlich behandelt – vom Geldsegen ihrer amerikanischen Kollegen können deutsche Forscher nur träumen. Gefahr droht hier zu Lande nicht durch zu viele, sondern durch zu wenige Sicherheitslabore. Aus Geldmangel verfügen viele Institute und Kliniken nicht einmal über die Sicherheitsstufe 2 (Level 2), die Krankheitserreger sind gegen unbefugten Zugriff meist kaum gesichert.

Eine deutliche Verbesserung der Forschungsbedingungen und der Sicherheit wäre nötig. Dafür gibt es auch ohne die amerikanische Bioangriff-Hysterie gute Gründe: Die weltweit häufigste Todesursache sind natürliche, stinknormale Infektionskrankheiten.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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