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Meinung: Im Rausch der Nacht

Die Wahl in Kiel ist ausgezählt – entschieden ist noch lange nichts

Vor kurzem lief in der ARD ein anthropologischer Film, in dem es um die seltsame Spezies der Politiker ging, Titel: „Im Rausch der Macht“. Darin bekannte Heide Simonis: „Ich werde depressiv, wenn mich auf fünf Schritte keiner erkennt.“ Ja, da kann man depressiv werden – als Wähler.

Die SPD hat an der Waterkant auf „Heide“ gesetzt, ein Name als Programm: große Hüte, große Ohrringe, aber auch große Schulden und, neuerdings, Depressionen. Die Angst vor dem Machtverlust stand Heide Simonis am Wahlabend ins vergrippte Gesicht geschrieben, bis um halb zwölf, als ihr der Landeswahlleiter mit dem Endergebnis einen Schuss vermeintlichen Glücks verpasste wie der Dealer dem Junkie. Welch plötzliches, seliges Strahlen! Aber im Rausch neigen Abhängige zum Höhenflug, auch wenn sie im Schlamassel stecken.

Die SPD hat am Dienstag mit dem Südschleswigschen Wählerverband, kurz SSW, Sondierungsgespräche aufgenommen mit dem Ziel, eine rot-grüne Minderheitsregierung von den beiden Vertretern der dänischen Minderheit tolerieren zu lassen. Das klingt nun gar nicht mehr groß, und das ist es auch nicht, mal ganz nüchtern betrachtet. Das reicht zwar vielleicht, damit Heide weiterhin alle fünf Schritte gegrüßt wird, und für die Wahrung des sozialdemokratischen Minderheitslevels im Bundesrat taugt das auch. Aber sonst?

Wenn die geschlagene SPD mit angeschlagenen Grünen und schlagfertigen Dänen regieren will, muss sie mehr bieten als bisher erkennbar. Ob die Kraft der drei Fastverlierer reicht, mit eingeschränkten parlamentarischen Rechten die Probleme des Landes besser zu lösen als eine stabile Regierung? Wer’s glaubt.

Und was wollten die Wähler? Man weiß es nicht, auch wenn die Parteigeneräle etwas anderes behaupten. Es gibt kein klares Signal, weder zum Weitermachen, noch zur Wende. So wird die Minderheit zum Mehrheitsmacher. Man kann die Privilegien und die daraus erwachsene Bedeutung des SSW durchaus kritisch sehen. Die Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde auch in den südlichen Landesteilen, in denen die dänische Minderheit keine Rolle spielt, ist, obschon vom Bundesverfassungsgericht gerade bestätigt, ein seltsames Parlamentarierdoping. Ohnehin fragt man sich, warum das, was unmittelbar nach dem Krieg in Grenznähe sinnvoll erschien, noch heute, in einem Europa fast ohne Grenzen, Bestand haben soll. Welche Minderheit wird da vor wem in Schutz genommen – und warum? Für die Parteien aus den neuen Ländern galt eine Ausnahme auch nur bei der ersten Bundestagswahl.

Dennoch ist es lächerlich, mit welchen Worten die verkaterten Voreiligjubler ihren Koalitius Interruptus beklagen. Selbstverständlich hat der SSW das Recht, Rot- Grün auf die Regierungsbank zu hieven, auch wenn der eigentlich rechtskundige Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag das Gegenteil insinuiert. Auch würde durch eine Duldung kein Wahlergebnis verfälscht, denn gewählt werden Parteien, nicht Bündnisse. Dass sich Parteien mal trennen und anders neu finden, hält die Union seit dem Sturz von Helmut Schmidt doch eigentlich für einen normalen demokratischen Vorgang, nicht wahr? Und in Kiel würde nicht einmal das passieren. Der SSW hat aus seiner Nähe zur Sozialdemokratie nie ein Geheimnis gemacht.

Infam ist die scheinheilige Warnung, die dänische Minderheit könne sich den Unmut der Bevölkerungsmehrheit zuziehen. Abgesehen davon, dass CDU und FDP über keine Mehrheit verfügen: Hört man da einen kleinen Aufruf zur Fremdenfeindlichkeit heraus?

Unterdessen geht die Meuterei auf der Barkasse „Schwarz-Gelb“ fröhlich weiter. Guido Westerwelle, von Edmund Stoiber einst als Leichtmatrose verspottet, sagt jetzt, der Bayer sei, weil nörgelig, Schuld am verpassten Landgang im Norden und deshalb „Ballast an Bord“. – Wer da bald so alles kieloben schwimmt, ob in Düsseldorf oder Berlin, das steht noch längst nicht fest.

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