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Meinung: Im Wanderzirkus

Wettbewerb gegen Routine: Wie gut, dass die Einheit jedes Jahr woanders gefeiert wird

Von Matthias Schlegel

Feststimmung in Magdeburg: drinnen die getragenen Reden, draußen die Volksbelustigungen. Wie soll man einem alljährlich wiederkehrenden Fest die Würde erhalten, ohne ihm den Stempel routinierter Gedenkenhuberei aufzudrücken? Wie soll sich die Erinnerung mit Emphase füllen, wenn der Alltag über die Jahre hinweg die Euphorie des Aufbruchs abgeschliffen hat?

Das Fest der deutschen Einheit zieht wie ein Wanderzirkus durch die Republik, und das ist offenbar die angemessenste aller Gedenkformen. Nicht allein, weil dies die föderalistische Verfasstheit stärkt, sondern auch, weil es einer Einheitsfeier-Routine vorbeugt: Dadurch, dass immer ein anderes Publikum in den Genuss des Volksfestes kommt, treten die Bundesländer in einen sympathischen Wettbewerb um das originellste und glanzvollste Ambiente. Es ist allemal besser, an diesem Tag den Ländern die Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu geben, als den Bayern, Sachsen und Mecklenburgern zuzumuten, auch an diesem Datum zum zigsten Mal das umjubelte Brandenburger Tor auf den Fernsehschirmen anschauen zu müssen.

Unsere Geschichte macht uns nationales Gedenken besonders schwer. Selbst positiv besetzte Zäsuren in den deutschen Zeitläuften unterliegen einem moralischen Vorbehalt, weil die anderswo üblichen Grenzziehungen zwischen legitimem Patriotismus und anrüchigem Nationalismus für Deutschland nicht gelten. Während offenbar besonders die Menschen in den alten Bundesländern einer diesbezüglichen Übersensibilisierung erliegen, wirken in den neuen Ländern Ressentiments anderer Art nach. Noch immer steckt den Leuten dort das Trauma staatlich verordneter Jubelorgien in den Seelen.

Die Konsequenz aus alledem könnte sein, gar nicht zu feiern. Wir könnten die Vorurteile kultivieren und die Griesgrämigkeit zu einem Vakuum wie in den berühmten Magdeburger Halbkugeln verdichten. Gewiss, das wäre ein Zeichen von Bescheidenheit und würde ein paar Millionen Euro an Steuergeldern sparen. Doch gerade wegen der Schwierigkeiten im Umgang mit unserer Geschichte ist es für uns so wichtig, diesen Tag dem Anlass gemäß würdig zu begehen – heiter, gelöst und mit unverstelltem Blick auf die Defizite, die uns auch 13 Jahre nach der errungenen Einheit noch nicht abhanden gekommen sind. Das wohl unverzichtbare Stückchen Pathos stecken wir weg.

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