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Meinung: Im Zweifel

Von Johano Strasser WO IST GOTT? Zu schwach, um zu glauben, und zu feige, um zu zweifeln – so könnte man den Gemütszustand der meisten Christen hierzulande umschreiben.

Von Johano Strasser

WO IST GOTT?

Zu schwach, um zu glauben, und zu feige, um zu zweifeln – so könnte man den Gemütszustand der meisten Christen hierzulande umschreiben. Und die Kirchen sind es in aller Regel zufrieden, wenn ihre Schäfchen ihre Kirchensteuer zahlen und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Ich bin schon mit achtzehn aus der Kirche ausgetreten. Ich habe es immer gehasst, wenn laue Christen Gott als Lückenbüßer benutzten: Wenn mal etwas schief geht… Man kann ja nie wissen… Gottesglaube kann zur intellektuellen und moralischen Drückebergerei verkommen: Gott als Tranquilizer, Gott als Deckmantel, mit dem das eigene Versagen kaschiert wird.

Da halte ich es lieber mit Dorothee Sölle: „Gott ist keine transzendente Interventionsinstanz:“ Wenn es ans Handeln geht, haben wir ganz allein die Verantwortung zu tragen. Wir sind es, die es richten müssen. Auf den Eingriff Gottes zu warten, ist unverantwortlich.

Und wo bleibt da Gott? Ich weiß nicht, warum das Reden über Gott, auch die Geschwätzigkeit einer gewissen Sorte negativer Theologie, mir so sehr auf die Nerven geht. Erst recht jene bigotten Kirchgänger, die besitzstolz von ihrem Gott reden wie von ihrem Haus, ihrem Auto, ihrer Frau und ihren Kindern.

Für mich ist Gott weniger Glaubens als Zweifelssache. Wie steht es wirklich um die stolze Autonomie des modernen Individuums? Wie weit reicht unsere wissenschafts- und technikbewehrte Macht? Welche meiner Leistungen kann ich ganz mir selbst als Verdienst zurechnen?

Sowohl in den Augenblicken des Scheiterns als in den selteneren des Gelingens ist da eine Ahnung eines größeren Zusammenhangs, in den ich gestellt bin. Es gibt etwas, über das ich nicht verfüge, nicht verfügen kann und nicht verfügen sollte. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von Gott. Ich ziehe es vor, darüber zu schweigen. Irgendwie erscheint mir das angemessener.

Der Autor ist Schriftsteller und Generalsekretär des deutschen P.E.N.-Zentrums.

Die Kolumnen des ersten Jahres liegen jetzt als Buch vor: „Wo ist ER?, 52 Antworten auf die Frage „Wo ist Gott?“; Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft, Berlin; 6 Euro 90. ISBN 3-7461-0173-5.

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