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Eine Mitarbeiterin in der Impfstoffherstellung von Moderna.

© dpa

Impfstoff-Patente sind kein Hindernis: Es braucht mehr als einen Kochtopf

Die Impfstoff-Rezepte sind frei verfügbar, aber eben nicht so einfach nachzukochen. Darum führt die Diskussion um Patente in die falsche Richtung.

Reflexe können Leben retten, wie jeder weiß. Der Nachteil von Reflexen ist allerdings, dass dabei das bewusste Denken weitgehend umgangen wird. Insofern taugen sie nur bedingt für komplexere Problemlösungen. Die Forderung, Patente für Corona-Impfstoffe „freizugeben“, ist ein solcher Reflex. Ihr haben sich jetzt auch noch Amnesty International und Brot für die Welt angeschlossen, nach EU-Abgeordneten, Vertretern der Zivilgesellschaft und Nobelpreisträgern.

Doch die Patente sind nicht das Problem für die skandalös ungleiche Verteilung der Impfstoffe in der Welt. Hersteller Moderna etwa erklärte schon im Oktober, die Covid-19-Impfstoff-Patente für die Dauer der Pandemie nicht durchsetzen zu wollen. Mit anderen Worten: Wenn jemand das Vakzin-Rezept, das im Übrigen frei verfügbar ist, nachkochen wollte, hätte er vor Monaten loslegen können. Vergleichbares gilt für andere Hersteller. Aber wo ist dann das Problem?

Die Abgeordneten, die jetzt mosern, wollten zu Beginn der Pandemie kein Geld bereitstellen

Zum einen liegt es daran, dass nicht jeder, der einen Kochtopf hat, mRNA-Impfstoffe zusammenrühren kann. Dafür braucht es spezielle Fabriken und mRNA-Spezialisten, denn es handelt sich um eine völlig neue Technologie. Noch nicht einmal die meisten etablierten Pharmaunternehmen beherrschen sie. Zum anderen müssen bestimmte Bestandteile zugeliefert werden, nur ein Beispiel: Jedes mRNA-Impfstoff-Molekül braucht eine „Kappe“ (ein spezielles „Guanin“), für die es nur einen Anbieter gibt. Vor der Pandemie wurden vielleicht einige Gramm dieser Moleküle pro Jahr bestellt, jetzt sind sie kiloweise binnen Wochen nötig. Und das gilt für jeden Bestandteil der Impfstoffe, bis hin zu den Fläschchen. Der Ausbau der Logistik und neuer Fabriken kostet Zeit und Geld. Im Übrigen wollten die EU-Abgeordneten, die jetzt über Patente mosern, genau dieses Geld den Firmen zu Pandemiebeginn nur zögerlich für den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen.

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Sicher ist es richtig, dass Patente und damit zusammenhängend hohe Preise dazu beitragen können, dass bestimmte Medikamente in ärmeren Ländern nicht ausreichend zur Verfügung stehen, und es ist gut und richtig, das anzuprangern. Bedacht werden muss dabei aber auch, dass innovative Firmen in einer Marktwirtschaft nun mal einen geldwerten Anreiz brauchen, um nach lebensrettenden Medikamenten zu forschen.

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Firmen wie Biontech und Curevac, die über zwanzig Jahre die mRNA-Technologie testeten und dafür jeweils Hunderte Millionen Euro von risikobereiten Investoren benötigten, vertrauen darauf, dass Patente die Forschungs- und Entwicklungsleistungen vor dem Zugriff anderer schützen. Geht dieses Vertrauen verloren, dann macht sich niemand mehr auf den Weg, neue Medikamente zu entwickeln.

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