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Meinung: In Bush steckt ein Bismarck

Nach imperialer Konfrontation setzt der amerikanische Präsident nun auf Diplomatie / Von Jacob Heilbrunn

Vergangene Woche veranstaltete die „Library of Congress“ ein kleines Seminar zu Ehren von Henry Kissinger. Kissinger hatte der Bibliothek sein Archiv vermacht und Samuel Huntington, Paul Kennedy und ein ganze Reihe anderer akademischer Stars dozierte über die Realpolitik des 19. Jahrhunderts. Sie sprachen über Metternich und Bismarck, über das Gleichgewicht der Mächte, und über die Möglichkeiten, Ordnung gegenüber Macht durchzusetzen. Der Unterschied zwischen der Bismarck’schen Raffinesse und eleganten Zurückhaltung eines Kissinger und George W. Bushs protzendem Unilateralismus könnte größer kaum sein.

Oder? Schon zeigt sich Bush, auf dem G8-Treffen und dem Gipfel im Nahen Osten, von einer unerwartet realpolitischen Seite. Er reicht Frankreich und Russland die Hand. Er vereinbart eine Anti-Terror-Koalition. Und im Nahen Osten zwingt er Israel und die Palästinenser an einen Tisch und verlangt von ihnen Zugeständnisse.

Für einen Präsidenten, der bislang jede israelische Maßnahme blind abzusegnen schien, bedeutet sein Friedensvorstoß eine eindrucksvolle Kehrtwendung. Wenn er so weitermacht, wird Bush am Ende im Ausland populärer sein, als er es zu Hause ist. Natürlich geriet Bush in politische Turbulenzen, als sein Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sagte, die Massenvernichtungswaffen seien nur ein bürokratischer Vorwand für den Einmarsch im Irak gewesen. Doch statt darüber empört zu sein, sollten die Europäer solche Eingeständnissse lieber begrüßen: Sie machen deutlich, dass die amerikanische Regierung die Lektion „Diplomatischer Bluff“ aus der Theorie von Machiavelli und der Praxis eines Kardinals Richelieu ausgesprochen gut gelernt hat. Nicht eifrig-naive Prediger bevölkern also die Bush-Truppe, sondern gestählte Zyniker, die vor Lügen, Manipulationen, oder auch Schmeicheleien nicht zurückschrecken.

Das Problem besteht darin, dass dieses Kalkül beim amerikanischen Kongress nicht besonders gut ankommt. An einem bestimmten Punkt untergräbt sich jeder Machiavellismus selbst: Wenn man erst einmal den Ruf eines Verräters hat, wird man ihn nicht mehr los. Der republikanische Senator John Warner ist nicht gerade das, was man eine Friedenstaube nennen würde – gleichzeitig fordert der Vorsitzende des Militär-Ausschusses aber ein Untersuchung darüber, ob die Regierung die CIA unter Druck gesetzt hat, übertriebene Gefahreneinschätzungen zum Irak zu liefern. Niemand möchte noch einmal an der Nase herumgeführt werden.

Weil die amerikanische Regierung die irakische Bedrohung aber dramatisch übertrieben hat, stoßen ihre Behauptungen über die Nuklearpläne Irans nun im Gegenzug auf ein gesundes Maß an Skepsis. Die Ironie liegt möglicherweise darin, dass Iran, anders als der Irak, in der Tat eine wachsende Bedrohung für die Sicherheit Amerikas (und Europas) darstellt.

Aber Bush scheint sich anpassen zu können. Statt auf machiavellistischen Imperialismus setzt er nun auf ein Gleichgewicht der Mächte: Mit Russland will er Iran eindämmen, mit China Nordkorea. Bismarck und Metternich wären stolz auf ihn.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: privat

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