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Meinung: In der Geschichte gefangen

Von Axel Vornbäumen

Es ist ein Ausflug in das Paläozoikum des deutschen Terrorismus, den das Stuttgarter Oberlandesgericht derzeit unternehmen muss, eine Exkursion in eine Zeit, die einst die „bleierne“ genannt wurde. Selten muss sich der Rechtsstaat mit dem Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) nur noch beschäftigen, aber wieder einmal hat er eine günstige Gelegenheit, zu beweisen, dass er sich unter ebendiesem Terror nicht verbogen hat. Geprüft wird derzeit, ob die einstige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt, verurteilt unter anderem als Rädelsführerin der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, nach 24 Jahren Haft zur Bewährung auf freien Fuß gesetzt werden kann. Nach allen Parametern, die der Rechtsstaat für seine Entscheidungsfindung zur Verfügung hat, hat Mohnhaupt eine zweite Chance verdient.

Eine Bedrohung für die Gesellschaft stellt die heute 57-Jährige wohl kaum mehr dar. Ein Rückfall in alte Zeiten ist ausgeschlossen, allein schon deshalb, weil sich die RAF vor neun Jahren selbst aufgelöst hat. Was immer Brigitte Mohnhaupt an Restbeständen ihrer pervertierten Ideale in ihrem Inneren mit sich rumtragen mag – auch in Freiheit wird es ihr dafür an jeglichem Resonanzraum mangeln. Die Zeichen aus Stuttgart deuten auf eine für Mohnhaupt günstige Entscheidung hin, das ist vernünftig.

Mit allem Respekt vor den Gefühlen der Angehörigen der Opfer: Es gehört zu den größten Errungenschaften, die der Rechtsstaat zu bieten hat, dass er sich zwischen Täter und Opfer stellt. Trauerarbeit ist nicht seine Aufgabe, Rache darf nicht sein Leitmotiv sein. Auch der Bundespräsident weiß das, wenn er demnächst über das Gnadengesuch von Christian Klar befinden muss. Es ist ein heikles Terrain in einer heiklen Zeit. In diesem Jahr jähren sich die perfiden Morde der RAF an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto zum 30. Mal. Die Jahrestage werden noch einmal Emotionen freisetzen. Selten war die Chance so groß, sich souverän zu zeigen.

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