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In der Krise: Bundeswehr: Bedingt weggetreten

Die Streitkräfte werden zum Streitfall. Was in diesen Tagen alles bekannt geworden ist, hätte je für sich früher zur Forderung nach dem Rücktritt des verantwortlichen Ministers geführt.

Hätte. Früher. Gestern. Das war, als die Wellen der Empörung noch bei geringeren Anlässen weit höher schlugen, weil die Bundeswehr inmitten der Gesellschaft stand und jeder Soldat einer war, den seine Familie nur für knapp begrenzte Zeit auslieh, um Staatsbürger in Uniform zu sein. Diese Armee, die Wehrpflichtarmee, ist aber inzwischen von gestern, ist in die Geschichte wegkommandiert worden. Sind es damit auch ihre Maßstäbe?

Der Eindruck ist durchaus gefördert worden, auch vom Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, dem Verteidigungsminister. Dem konnte es nach überraschender Kehrtwende ja gar nicht schnell genug gehen mit dem Abschied vom Bewährten. Darin liegt nun allerdings ein Teil dessen, was angesichts der Skandale – die womöglich noch gar nicht alle öffentlich sind – sowohl nachträglich als auch im Hinblick auf die Zukunft erörtert werden muss.

Zur Problembekämpfung gehört zunächst einmal ein Statusbericht von den bekannt gewordenen Fällen. Der erste, die Meuterei auf der Gorch Fock, entwickelt sich zum Sittenbild von der Stimmung in der Truppe. Die wird zu sehr gefordert, gleichzeitig wird sie zu wenig gefördert. (Motivation durch Wertschätzung? Teamgeist durch Teambildung? Wer sich umhört, hört Bodenloses.) Der zweite Fall, die Verletzung des Postgeheimnisses von Soldaten im Kampf in Afghanistan, ist ein Straftatbestand, darüber hinaus aber eine Ungeheuerlichkeit, die gerade in Deutschland schlimmste Erinnerungen weckt. (Wenn das die Amerikaner bei ihren Soldaten in Vietnam gemacht hätten! Davon war allerdings nichts zu hören. Und bei ihnen war die Lage verdammt viel schlechter.) Der dritte Fall, die Vertuschung des Todesfalls auf einem Außenposten in Afghanistan, ist möglicherweise mit politischem Vorsatz geschehen, nach dem Motto, es kann nicht sein, was nicht sein darf. (Schon gar nicht, wenn gleich die Kanzlerin kommt.)

Die Fälle stehen einzeln nebeneinander und verbinden sich doch. Zu einer Krise. Zu deren Lösung gehören genaues Hinschauen und Hinhören. Für das dürfen alle dem Wehrbeauftragten dankbar sein; er könnte doch auch mal den Minister fragen, was der von den Soldaten so erfahren hat. Vielleicht, wie über die Auswirkungen einer jahrelangen Planungsunsicherheit geklagt wird? Denn es waren zu viele Änderungen der Struktur im vergangenen Jahrzehnt. Außerdem hat sich eingebürgert, eine Reform schon für umgesetzt zu halten, wenn sie nur schon verkündet worden ist. So geht das aber nicht einmal in einer Organisation, in der Befehl und Gehorsam gelten. Dafür ist die Bundeswehr auch viel zu groß. Bis eine Reform überall greift, dauert es Jahre. Deshalb wurde zuletzt gewissermaßen modular reformiert; bis wesentliche Teile kaum mehr zusammenpassten.

Hinzu kommt, dass es nicht bloß um Panzer oder Kampfroboter geht, sondern um, Achtung!, Menschen. Für die wurde einmal die Innere Führung erfunden, ein Konzept, um das uns die Welt beneidet. Dazu bleibt den Truppenführern, gleich in welcher Teilstreitkraft, kaum mehr Zeit, weil sie bei den vielen Änderungen schon länger nicht mehr hinterherkommen. Innere Führung ist aber auch Innere Fühlung, und an beidem mangelt’s. Der Mangel muss jetzt bekämpft werden, sonst meutert bald die ganze Truppe.

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