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Meinung: In Reih und Glied

Von Roger Boyes, The Times

Normalerweise hat die „Bild“ eine Meinung. Ziemlich oft hat sie eine Meinung, bevor sie über die Fakten verfügt und die unter uns, die Dieter Bohlen oder Big Brother nicht kennen oder nicht wichtig finden sind für diesen Service recht dankbar. Man hat dann morgens in der Bäckerei etwas, über das man reden kann. Wenn „Bild“ uns nicht sagt, was wir denken sollen, verfallen wir in Panik. Das ist also die Neuigkeit: „Bild“ kann sich keine Meinung bilden über den DDay. Franz-Josef Wagner dankt den GIs, aber nicht zu sehr, weil sie Deutsche getötet haben. Peter Boenisch denkt, dass es richtig war, dass Kohl 1984 nicht in die Normandie gefahren ist, und dass es richtig ist, wenn Schröder 2004 doch fährt. Was sollen wir nun glauben? Aufwachen, Springer!

Vielleicht sollte man diese ganze hamletartige Diskussion darüber vergessen, ob die Landung in der Normandie nun eine Befreiung oder eine Niederlage war und sich nur auf die großen Felder voller weißer Kreuze konzentrieren. So viele tote junge Männer und ab dem 10. Juni glaubte nicht ein einziger Wehrmachtsgeneral mehr, dass Hitlers Krieg gewonnen werden könnte. Wie viele Hunderttausend starben in den folgenden 11 Monaten einen sinnlosen Tod?

Für mich hat der D-Day nicht so viel mit dem Mut der Soldaten (auf beiden Seiten) zu tun, sondern mehr mit der Feigheit des deutschen Offizierskorps. Wenn man die Gänge zwischen den Kreuzen entlanggeht, nicht nur in der Normandie, sondern auch auf dem Militärfriedhof an der Berliner Heerstraße, ist es schwer, nicht wütend zu werden, stellvertretend für die Soldaten, die verraten wurden und die nun in Paradeformation gezwungen werden. Die zweifelhafte Ästhetik von Militärfriedhöfen macht alles noch schlimmer: Die Sterilität der Kreuze, der Golfrasen. Als ob die Toten, meist in den 20ern, auf ihre kurze, tödliche Stippvisite in der Armee reduziert würden, als ob sie kein früheres Leben hatten, als ob sie auf ewig Disziplin üben müssten.

Mein bevorzugter Friedhof liegt einige Kilometer entfernt von den Kämpfern der Heerstraße: der so genannte Selbstmörderfriedhof in Grunewald. Hier haben Menschen sich entschieden, zu sterben, oder haben zumindest die Todesart gewählt. Die Gräber sind überwuchert, beschattet von ungeschnittenen Hecken und der Vernachlässigung anheim gegeben. Viele der Toten in Grunewald wurden von ihren Familien und ihren Priestern geschnitten. Und dennoch hat dieser Ort mehr ruhigen Charme und sagt mehr über das Leben als all die Todesregimenter in der Normandie und anderswo. Dort gibt es Hausmädchen, die sich umbrachten, nachdem sie von ihrem Arbeitgeber geschwängert wurden, oder die bei der Geburt in einem geheimen Dachstuhl starben. Hier liegen russische Exilanten, die sich nach der Revolution in der Havel ertränkten. Menschen, deren Welt unterging, plötzlich und düster. Die einzige Starleiche ist Nico von Velvet Underground, die blonde Sängerin mit der gebrochenen Stimme. Technisch gesehen beging sie keinen Selbstmord – sie fiel vom Fahrrad. Aber ihr Körper war von den Jahren des Heroinkonsums so geschwächt, dass sie keine Chance auf Genesung hatte. Das ist auch eine Form des Selbstmordes. Hier würde ich gerne beerdigt werden, am liebsten im Herbst, wenn die Eichhörnchen sich noch in den Baumspitzen balgen.

Die Toten in Grunewald waren Außenseiter, die dennoch zu Berliner Geschichten wurden und wieder aufgenommen wurden in den Fluss der Stadt. Auch den D-Day-Toten wünschte ich dieses Schicksal und den Millionen von Soldaten, die in weit entfernten Friedhöfen zurückgelassen wurden. Jede Armee sollte die Pflicht haben, ihre Toten zurückzubringen, sie in ihren Heimatorten zu beerdigen anstatt sie zu Kriegshelden zu stilisieren. Wer besucht schon die Toten in der Normandie? Alte Kameraden vielleicht, aber vor allem Generäle, Politiker und Blaskapellen an jedem runden Erinnerungstag der Invasion. Jeder tote Soldat hat etwas Besseres verdient; er sollte heimgebracht und ein Teil der Erzählung seiner örtlichen Gemeinde werden. Geschichte beginnt schließlich zu Hause.

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