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Meinung: Ins Gesicht geschrieben

Von Christoph von Marschall

Donald Rumsfeld auf Überraschungsbesuch in Bagdad: Bis vor kurzem hätte die Meldung die Iraknachrichten des Tages dominiert. Heute ist das anders. In Washington ist den Senatorinnen und Senatoren der Ernst der Lage ins Gesicht geschrieben. Drei Stunden lang haben sie noch unveröffentlichte Fotos von Misshandlungen an Gefangenen eingesehen. Von „grausamer, sadistischer Folter“ sprechen auch die Parteigänger der Regierung Bush. Der Schock über die Bilder ist so stark, dass die Fragen nach der allgemeinen Lage im Irak und der Perspektive der Machtübergabe untergehen. Ist die Regierung Bush in ihrer Irakpolitik so gelähmt, wie sie nach außen wirkt? Ist sie gar handlungsunfähig?

Diesem Eindruck will Rumsfeld mit seiner Blitzvisite begegnen. Er inspiziert zwar das FolterGefängnis Abu Ghraib – Amerika bemüht sich um rückhaltlose Aufklärung. Aber daneben soll der Besuch bei der Truppe das Signal setzen: Es gibt einen Besatzungsalltag jenseits der Gefängnisse, Wiederaufbau und Befriedung kommen voran. Nicht jeder Soldat ist ein Folterer.

Das ist wichtig und richtig, die Lage in Bagdad und Basra, Falludscha und Nadschaf war schon zuvor ernst genug. Sie verlangt volle Konzentration. Es ist jedoch ungleich schwieriger, eine Strategie für die Besatzungsprobleme zu entwickeln. Bei der Folter kann es nur eine Devise geben: untersuchen und bestrafen. Was aber soll die Richtschnur für die Aufstände der Sunniten in Falludscha oder der Anhänger des Schiitenführers al Sadr in Nadschaf sein?

Da gab es schon vor dem tiefen moralischen Fall der US-Truppe nur schlechte Lösungen – und entsprechend Streit zwischen Zivilverwalter Bremer in Bagdad und den Strategen im Pentagon. Soll man den Widerstand niederkämpfen – mit dem Risiko, heilige Stätten dabei zu zerstören und den Zorn der Muslime zu vergrößern? Oder mit den Rädelsführern verhandeln, was das Problem nur vertagt, aber nicht löst? Oder, makaber genug, das Problem an irakische Truppen unter ehemaligen Saddam-Generalen übertragen,wie in Falludscha? Da ist keine Linie zu erkennen – außer dem wachsenden Wunsch, möglichst bald abzuziehen. Die Situation ist verfahren, gute Auswege gibt es nicht. Amerika aber hat die Autorität verloren, die man braucht, um einen anfechtbaren Kurs zu verfolgen, für den nur eines spricht: dass er von den schlechten vielleicht noch der erträglichste ist.

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