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Meinung: Instinktive Ablehnung

Sex unter Geschwistern: Strafe für Inzest kann einen Sinn haben

Wenn zwei Menschen sich lieben, dann dürfen sie auch Sex miteinander haben. Wenn zwei Menschen sich lieben und Geschwister sind, dann dürfen sie keinen Sex miteinander haben – so steht es im Strafgesetzbuch, Paragraf 173.

Die Geschwister aus Leipzig, getrennt aufgewachsen, haben sich in ihrer Jugend kennengelernt – und sind jetzt ein Liebespaar. Die beiden haben vier Kinder. Sie wollen zusammenbleiben und, ja, auch weiter Sex haben. Weil das aber mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden kann, wollen die beiden beim Bundesverfassungsgericht gegen das Inzestverbot klagen. Ihr Anwalt und viele Juristen meinen: Der Paragraf 173 sei „aus der Steinzeit“ und verstoße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Haben sie recht? Wie sollen wir mit Inzest umgehen?

Sex unter Geschwistern ist ebenso wie der zwischen Vater und Tochter und Mutter und Sohn in allen Kulturen tabu. Die meisten Menschen empfinden schon allein den Gedanken daran als widernatürlich. Der Grund dafür liegt letztlich in der Biologie. Jedes zweite Kind von Verwandten ersten Grades ist behindert. Nicht zufällig hat die Natur in unsere Gehirne eine Inzestschranke eingebaut. Kinder, die gemeinsam aufwachsen, lehnen einander – in aller Regel – sexuell ab.

Doch was, wenn die beiden nicht zusammen aufgewachsen sind? Wenn sie sich später treffen und sich verlieben? Dürfen sie ihre Liebe nicht leben? Es gibt solche, die sagen: Nein, dürfen sie nicht. Das sei eklig, unsittlich, außerdem zeugten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit behinderte Kinder.

Zwei der vier Kinder des Leipziger Paars sind behindert. Ist das ein Argument? Es ist keines, kein gutes, kein überzeugendes. Jeder hat ein Recht auf Kinder, immerhin verbieten wir Menschen mit Erbschäden oder Frauen über 40 auch nicht, Kinder zu bekommen. Also ist das Inzestverbot mit Blick auf das klagende Paar in der Tat ungerecht. Man mag es abstoßend oder unmoralisch finden, wenn Bruder und Schwester miteinander schlafen wollen, aber es gibt so etwas wie sexuelle Selbstbestimmung. Wenn diese beiden Menschen es so wollen – wer sind wir, ist die Gesellschaft, es ihnen zu verbieten?

An alledem lässt sich nicht rütteln. Und dennoch gibt es einen guten Grund, das derzeitige Inzestverbot beizubehalten. Der Fall der Geschwister aus Leipzig stellt nämlich eine krasse Ausnahme dar. Was dagegen häufiger vorkommt: Väter, die über ihre Töchter herfallen, oder ältere Brüder, die ihre kleinere, wehrlose Schwester missbrauchen.

Dagegen argumentieren Juristen, dass es für diesen Fall genügend andere Paragrafen gibt. Nun, nicht wirklich. Es kann nicht genügend Signale in die Gesellschaft hinein geben, die besagen: Macht ein Vater sich an seine Tochter heran, ist das nicht okay, sondern strafwürdig. Das Inzestverbot ist eines dieser Signale. Deshalb ist es sinnvoll. Das hat nicht zuerst mit Moral zu tun und nichts mit sexueller Selbstbestimmung. Es geht darum, jene zu schützen, die sich nicht schützen können. Dazu ist der Staat da.

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