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Rede an die Nation. US-Präsident Obama will sich nun verstärkt um die Wirtschaft kümmern.

© dpa

Irak als Heldenepos: Rede an die Nation: Der neue Obama

Obama wirkt kühl und rational. Er geht auf die emotionalen Bedürfnisse der Amerikaner zu wenig ein. Im Wahlkampf 2008 war das Versprechen durchdachter Kurskorrekturen ein Plus. Nun wachsen die Zweifel, ob er "ein richtiger Amerikaner" sei.

Ins Amt gekommen war er als Gegner der Irakkriegs. 2009 erhielt er den Friedensnobelpreis. Tatsächlich ist er ein Kriegspräsident. Die Truppen in Afghanistan hat er verdreifacht. In 20 Monaten Amtszeit hat er mehr „gezielte Tötungen“ mutmaßlicher Spitzenterroristen durch Drohnen und Spezialkommandos angeordnet als George W. Bush in acht Jahren. Barack Obamas Rede zum Abzug aller Kampftruppen aus dem Irak hätte auch Bush so halten können. Den Folterskandal von Abu Ghraib und die zivilen Toten erwähnte er nicht. Alle amerikanischen Soldaten sind Helden, ausnahmslos. Er ließ aus, dass er die Invasion früher einen „dummen Krieg“ genannt und Bush vorgeworfen hatte, er habe sie mit Lügen über Massenvernichtungswaffen begründet. Nun sagt er, man dürfe Bush die guten Absichten nicht absprechen.

Irak als Heldenepos und nicht als dunkler Fleck – dies ist der Höhepunkt einer atemberaubenden Wandlung. Sie erfasst auch andere Politikbereiche. Obama erfindet sich neu, damit er ein Präsident möglichst vieler Amerikaner bleiben kann. Die Wirtschaftskrise hält an, seine Umfragewerte sind rapide gesunken. Die Erkenntnisse der Demoskopen lassen drastische Verluste der Demokraten bei der Kongresswahl in zwei Monaten erwarten. Es ist inzwischen sogar gut möglich, dass sie die Parlamentsmehrheit verlieren. Wie in den meisten Demokratien, ist der Blick ins eigene Portemonnaie das dominierende Wahlmotiv. Die Arbeitslosenquote liegt unverändert bei annähernd zehn Prozent und damit doppelt so hoch wie in normalen Zeiten, trotz des 800 Milliarden Dollar teuren Konjunkturpakets.

Zum materiellen Frust kommt das Gefühl intellektueller Distanz. Obama wirkt kühl und rational. Er geht auf die emotionalen Bedürfnisse der Amerikaner zu wenig ein. Im Wahlkampf 2008 war das Versprechen durchdachter Kurskorrekturen ein Plus. Doch selbst Projekte wie die Krankenversicherung für alle und die verschärfte Aufsicht der Banken, die als Idee breite Zustimmung fanden, schaffen eine doppelte Ablehnungsfront, wenn daraus Gesetze werden. Enttäuscht sind sowohl die, denen die Reform zu weit geht, als auch jene, denen sie nicht weit genug geht. Heute meinen viele Bürger zudem, dies sei nicht die richtige Zeit für große Reformen. Der Präsident solle sich um Verbesserungen im Alltag kümmern.

Über die mühsamen und zeitraubenden Kämpfe um die Details der Gesetze hat Obama die Seelenmassage der Nation vernachlässigt. Im Wahlkampf war er ein Meister darin. Nun wachsen die Zweifel, ob er „ein richtiger Amerikaner“ sei. Das liegt nicht nur an der teils böswilligen Propaganda der „Tea Party“. Die findet nur deshalb Resonanz, weil auch Bürger in der Mitte der Gesellschaft argwöhnen, dieser Präsident sei kulturell anders. Er spricht das Selbstwertgefühl und den Idealismus zu wenig an. Amerikaner wollen sich als eine Kraft des Guten in der Welt sehen. Selbst wenn es nicht so gut läuft, ob im Irak oder in der Wirtschaft, erwarten sie pragmatische Korrekturen und rasche Besserung. Prinzipielle Kritik und Selbstzweifel über eine längere Zeit kommen bei der Mehrheit schlecht an.

„Turn the page“ war die zentrale Botschaft in Obamas Rede: eine neue Seite aufschlagen. Nach dem Angriff an 9/11 haben die USA fast zehn Jahre Krieg geführt. Die Billionen sollen wieder ins Inland fließen, in Aufschwung und Bildung. Die Zeit der Schuldzuweisung an Bush ist vorbei. Nach 20 Monaten muss Obama selbst für die Lage geradestehen. Und zeigen, dass er ein Patriot ist, der Amerika für das Beste in der Welt hält.

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