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Meinung: Ironie der Geschichte

Krise bei Israelis und Palästinensern: Stürzt Scharon und tritt der Gefangene Barguti an?

Der Tod Jassir Arafats ist noch lange keine Garantie dafür, dass es jetzt vorangeht mit dem Friedensprozess. Wie zerbrechlich die Situation in Wirklichkeit ist, sieht man gerade: An ein und dem selben Tag stürzt einerseits die Regierung von Ariel Scharon, was dessen Gaza-Rückzugsplan in Gefahr bringt. Andererseits will der beliebte palästinensische Politiker Marwan Barguti nun doch bei den Präsidentschaftswahlen am 9. Januar antreten – obwohl er in Israel im Gefängnis sitzt. Das wiederum gefährdet die alte Garde der PLO um Mahmud Abbas, die gerade die Macht übernommen hat. Führungschaos also auch bei den Palästinensern.

Es ist durchaus möglich, dass die Palästinenser tatsächlich Barguti zum Nachfolger Arafats wählen. Im Grunde wäre das nichts Schlechtes, weil es nur einem starken und beliebten palästinensischen Führer gelingen dürfte, die Mehrheit seines Volkes davon zu überzeugen, dass ein Staat allein mit harten Kompromissen zu erringen sein wird. Aber solange ein Präsident Barguti im israelischen Gefängnis sitzt, würde das jeden politischen Prozess lähmen. Ihn zu entlassen könnte sich nur ein starker israelischer Premier leisten – und der ist zurzeit nicht in Sicht.

Mehr noch, die momentane Schwäche Scharons gefährdet dessen wichtigstes Projekt: den Rückzug aus dem Gazastreifen und aus vier Siedlungen in der Westbank. Schon heißt es in Israel, wenn es nicht einmal Scharon, dem Vater der Siedlungen, gelingt, mit der Unterstützung von zwei Dritteln der Bevölkerung Siedlungen zu räumen, wem soll es dann je gelingen?

Dennoch: Für Abgesänge ist es zu früh. Gut möglich, dass es Scharon schafft, mit den Orthodoxen und der arg dezimierten Arbeitspartei eine Koalition zu schmieden, deren Daseinszweck allein wäre, den Rückzug aus Gaza sicherzustellen. Möglich auch, dass Barguti doch nicht antritt. Und dass er vor dem Verstreichen der Anmeldefrist nur deswegen seinen Hut in den Ring geworfen hat, um über mehr Verhandlungsmasse zu verfügen. Denn Barguti dürfte klar sein, dass ein Präsident im Gefängnis den Palästinensern wenig nützt. Vielleicht will er nur verbindliche Zusagen von Mahmud Abbas, dass einige seiner Getreuen an der neuen Regierung beteiligt sein werden. Damit die Weichen für eine Machtübergabe an Barguti gestellt sind, sobald der wieder richtig mitmischen kann.

Sicher ist also gar nichts, außer, dass man im Nahen Osten niemals dem äußeren Schein trauen darf. Und vielleicht dient die ganze Aufregung auch dazu, uns allen eine Lehre zu erteilen. Denn wer hätte für möglich gehalten, dass man noch einmal darum zittern muss, einer wie Scharon möge an der Macht bleiben, um den Siedlern einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Und wer hätte gedacht, dass der starke Mann der Palästinenser am Ende einer sein könnte, der im israelischen Gefängnis nicht mal regelmäßig Besuch empfangen darf. Man könnte darüber schmunzeln – wenn die Lage nicht so ernst wäre.

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