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Islam: Der neue Hass

In Dresden wird eine Muslimin im Gerichtssaal erstochen - und lange interessiert sich niemand dafür. Das Desinteresse ist auch Ausdruck der in Deutschland verbreiteten Assoziation: "Islam, Islamist, Terrorist". Ein Kommentar.

Von Dresden bleiben viele unbeantwortete Fragen: Wie kann ein Angeklagter in einem Gerichtssaal 18 Mal auf eine Zeugin einstechen, ohne dass ihm jemand wirksam in den Arm fällt? Wie konnte er den anscheinend einzigen Helfer, ihren Ehemann, noch lebensgefährlich verletzen? Wieso schießt der schließlich aufgetauchte Polizeibeamte nicht auf ihn, sondern gezielt auf den ägyptischen Ehemann?

Auf eine Frage allerdings ist eine Antwort womöglich heute schon möglich: Warum ist der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines „Ehrenmords“ wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung und für die politischen Institutionen kein Grund, auch nur zu zucken? Könnte es sein, dass dieser Tod – es wird wegen Mordes ermittelt – nicht in unser Raster passt? Eine junge Frau, Muslima, akademisch gebildete berufstätige Apothekerin, duckt sich unter den massiven Beleidigungen („Schlampe“, „Islamistin“, „Terroristin“) nicht weg, sondern wehrt sich: Sie zeigt den Mann an. Der wird verurteilt, während einer neuen Verhandlung bringt er sein Opfer um.

Vielleicht schaut man da weg, weil das Hinschauen zu viele populäre Dogmen Lügen strafen würde. Den Lehrsatz „Bildung ist der Schlüssel zur Integration“ zum Beispiel: Hier starb eine junge bestausgebildete Frau, verheiratet mit einem Landsmann, der am angesehenen Max-Planck-Institut arbeitete – wer weiß, ob das die Wut des Täters nicht sogar gesteigert hat? Oder nehmen wir den: „Islam und westliche Gesellschaft passen nicht zusammen“. Marwa E. wehrte sich auf eine nicht nur rationale und zivile, sondern nebenbei auch überaus deutsche Weise: Statt zurückzubrüllen oder zuzuschlagen, erstattete sie Anzeige.

Und eine weitere Wahrheit sollte schmerzen: Die Assoziation „Islam, Islamist, Terrorist“, das alles ausgelöst durch den Anblick eines Menschen mit dunklerer Haut und einem Kopftuch, ist nicht nur Extremistendenke, auch wenn der Dresdner Täter, nach seinen Äußerungen vor Gericht zu urteilen, NPD-Sympathisant ist. Aber seit Deutschland kaum nach dem 11. September 2001 den Krieg gegen den Terror durch Einführung der Rasterfahndung gegen alle eröffnete, die Bart oder Kopftuch und große muslimische Frömmigkeit zeigen, vollzieht sich der Kurzschluss von Islam zu Terror nicht nur in den Köpfen von Außenseitern. Antisemitismus ist endlich weitgehend geächtet, nun ist Islamhass im Begriff, zur akzeptablen Form des guten alten Rassismus zu werden – und es ist ein Glück, dass der Zentralrat der Juden sich dem seit langem entgegenstemmt.

Aber die Kanzlerin schweigt und Sachsens Justizminister nimmt den Fall lediglich zum Anlass, die „offene Justiz“ mit offenen Gerichtssälen beenden zu wollen. Dabei ist die Öffentlichkeit der Justiz ein, wenn nicht der Eckstein des modernen Rechtsstaats. Als Geert Mackenroth noch den Deutschen Richterbund führte, rechtfertigte er die Frankfurter Polizeifolter. Vor manchen seiner Minister muss sich der Rechtsstaat vielleicht mehr fürchten als vor der Scharia.

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