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Islamdebatte: Zumutungen der Demokratie

In einer echten Demokratie sind auch Dinge erlaubt, die andere Menschen als zutiefst verletzend empfinden. Über Meinungsfreiheit, Paternalismus und Koran-Verbrennung.

Der Muslim ist etwas rückständig, leicht erregbar, nimmt alles persönlich, kennt keinen Spaß, reagiert gerne über: So denkt es in vielen bei uns - auch in vielen, die sich selbst für kein bisschen rassistisch halten. Doch Paternalismus ist oft kaum weniger diskriminierend als Überheblichkeit. Und paternalistisch ist es, die Muslime vor den Zumutungen der Demokratie schützen zu wollen. Das fing mit den Mohammed-Karikaturen an und hört mit der geplanten Koran-Verbrennung im US-Bundesstaat Florida nicht auf. Die Botschaft der Wohlmeinenden lautet: Wer Mohammed malt oder den Koran verbrennt, provoziert Gewalt, und weil der Gewalttätige provoziert wurde, trifft allein den Provokateur alle Schuld. Frei nach der Kinderlogik: Mutti, Mutti, die Konstanze hat mich gezwungen, sie zu schlagen, weil sie mir zuvor die Zunge herausgestreckt hat.

Damit kein Zweifel entsteht: Was der christliche Geistliche Terry Jones vorhat, ist dumm, abscheulich und verantwortungslos. Aber es ist gedeckt von der amerikanischen Verfassung, die in einem sehr weiten Sinne die Meinungsfreiheit garantiert. Dort dürfen Mitglieder des Ku-Klux-Klans ungestraft Kreuze verbrennen und Demonstranten die US-Fahne. Einschränkungen der Redefreiheit, wie sie etwa in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten sind ("die notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung") gibt es in den USA in derart rigider Form nicht.

Jones sagt, er wolle mit seiner Aktion auf dramatische Weise seinem Glauben Nachdruck verleihen, dass der Koran böse sei, weil dieser Gewalt und Radikalismus begünstige. Der Pastor hat angekündigt, trotz mannigfaltiger Kritik an seinem Vorhaben festhalten zu wollen. Neben dem Weißen Haus haben unter anderem Dutzende Politiker aus aller Welt (darunter Angela Merkel), der Vatikan, muslimische Gruppen und der Nato-Oberbefehlshaber in Afghanistan, David Petraeus, die geplante Aktion verurteilt.

Doch auch wenn die Koran-Verbrennung von den allermeisten Menschen als falsch und beleidigend empfunden würde, ist die Aktion nach amerikanischem Recht vollkommen legal. Jegliches Gesetz, das Jones von seinem Vorhaben abhalten sollte, würde vom Obersten Gerichtshof der USA als verfassungswidrig erklärt.

In einer echten Demokratie sind auch Dinge erlaubt, die andere Menschen als zutiefst verletzend empfinden. Das gehört zu den Zumutungen der Demokratie. Daher ist es wenig hilfreich, die möglicherweise gewalttätigen Reaktionen in der muslimischen Welt als gewissermaßen gerechtfertigt durch die provokante Tat erscheinen zu lassen. Welche Folgen die Koran-Verbrennung hat, hängt statt dessen zum Großteil davon ab, ob Muslime bereit sind, die Glaubensgemeinschaft "Dove World Outreach Center" als jene querulatorische Splittergruppe zu begreifen, die sie ist.

Das wäre ein Zeichen von zivilisatorischer Reife - im Unterschied zu dem Zerrbild der Muslime, das westliche Paternalisten von ihnen haben.

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