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Bereit für einen Krieg? Ein israelischer Soldat bei einer Militärübung auf den Golanhöhen im August.

© dpa

Israel: Das Säbelrasseln eines Staates in der Identitätskrise

Israel droht mit Angriffen auf den Iran - aus Furcht vor dessen Atomprogramm. Aber auch, um von Problemen im eigenen Land abzulenken.

Selten noch redet Israels Führung vom Frieden, umso häufiger vom Krieg. In regelmäßigen Abständen werden Schlachtpläne gegen den Iran unter das Volk gebracht, was erheblich mehr internationale Aufmerksamkeit erzeugt als die zerschlissene Polit-Rhetorik von angeblich „schmerzlichen Kompromissen“ mit den Palästinensern. Niemand in der politischen Klasse hat ein erkennbares Interesse, die Verhältnisse im Zusammenleben mit dem seit mehr als 40 Jahren unterjochten Nachbarvolk endlich fair zu regeln. Israel setzt auf den Status quo und gebärdet sich wie jemand, der mit seinem Gegenüber über die Aufteilung einer Pizza redet, während er sie gleichzeitig vor dessen Augen verspeist.

Und so wundert es nicht, dass sich Israel mit aller Macht auf sein neues Staatsthema fokussiert – die Gefahr aus dem Iran. Erstmals kursieren geschätzte Opferzahlen und eine mögliche Kriegsdauer, SMS- Probewarnungen und Bunkerbombenmaße, während die verängstigten Menschen ihre Schutzkeller entrümpeln und sich mit neuen Gasmasken eindecken. Eine Minderheit von Kritikern redet von organisierter Hysterie, und der steinalte Präsident Peres versteht seine eigenen Landsleute nicht mehr. Selbstverständlich ist auch Teheran bei jeder verbalen Eskalation mit dabei, retourniert mit dem üblichen Tumor-Vergleich für Israel.

Der jüdische Staat bekundet mit diesem beständigen Säbelrasseln mehr als nur die Furcht vor dem iranischen Atomprogramm. Es offenbart gleichzeitig eine Identitätskrise, die tief in die eigenen Fundamente reicht. Avraham Burg, Israels ehemaliger Knesset-Präsident, sieht den einstigen Wertebund zwischen Israel und den USA – von Demokratie, Menschenrechten und Respekt vor anderen Nationen – abgelöst durch eine Garnitur gemeinsamer Interessen: Krieg, Bomben, Drohungen, Furcht und Traumata. Erstmals in seiner Existenz scheint Israel – auch angesichts des arabischen Frühlings – auf Normalmaß zu schrumpfen. Es ist nicht mehr die Vorzeigedemokratie des Nahen Ostens, sondern ein kleines Land unter vielen, dessen Konstruktion die gleichen Gebrechen zeigt wie die seiner Nachbarn. Und keine säkulare israelische Regierung – ob sie will oder nicht – kommt noch an gegen die ultranationalen Siedler und ultrafrommen Orthodoxen.

Ob es in dieser Lage klug ist, das Bündnis mit der Schutzmacht USA weiter zu strapazieren, bleibt das Geheimnis von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Ein Alleingang Israels gegen den Iran könnte die gesamte Golfregion in Brand setzen. Und dem ramponierten Verhältnis zwischen Barack Obama und Netanjahu mitten im Präsidentenwahlkampf den Rest geben. Wie kein US-Präsident vor ihm hat Obama die Sanktionen gegen Teheran verdichtet. Iran wird sein Öl immer schwerer los, die heimische Währung taumelt in eine Rekordinflation. Und in der Region ist die Islamische Republik dabei, ihren wichtigsten Verbündeten Syrien einzubüßen.

Was George W. Bush dem Teheraner Regime mit seinem wahnwitzigen Irakkrieg an Einfluss in die Hände gespielt hat, rang Obama ihm mühsam wieder ab, ohne dass ein Schuss fiel. Netanjahu dagegen hat die ganzen Jahre nur weiter an seinen Siedlungen gebaut.

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