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Israel-Kritik: Ach, Grass!

Das Gedicht von Günter Grass steckt voller Irrtümer, meint Stephan-Andreas Casdorff. Es wäre aber auch einer, ihn zu ernst zu nehmen. Grass steht isoliert da und ist keine politische Autorität.

Und ist die Stimme brüchig auch, so muss er sie erheben. Es geht um den Weltfrieden, da soll, da darf sein Wort nicht fehlen. Der Grasstyrann und das politische Gezücht – das ist allemal ein Gedicht wert. Oder so etwas Ähnliches. Gibt es das überhaupt, ein politisches Prosagedicht? Einerlei, wenn nicht, dann hätte er es erfunden. Immerhin. Heine nicht.

Ach, Grass. Israel ist die größte Gefahr für den Weltfrieden, das muss man doch wohl sagen dürfen, nicht wahr? Ganz genau so hat er es nicht gesagt, dazu ist er denn doch als Wortsetzer zu versiert; das verschwiemelt er schon besser. Drum schreibt er es auch eher so: Darf man’s wagen, das zu sagen? Dazu noch ein wenig mit dem Alter kokettiert, mit der letzten Tinte, wie er schreibt (wenn es denn mal so wäre) – da ist es, dochdoch, antisemitisch. Ungeniert.

Die Reaktionen auf das Gedicht von Grass in Bildern:

Das Grass-Missverständnis: Es ist ein vielfaches. Wenn Grass glaubt, dass er eine Art literarischer Regierungschef ist, dann irrt er. Wenn er glaubt, dass er ein Großintellektueller ist, dann irrt er zweimal. Warum? Weil er nicht argumentiert, nicht disputiert, sondern sich bloß exponiert. Weil er allein glaubt, etwas zu sagen zu haben. Was er dann aber sagt, ist nur dumpf, und das war noch nie intellektuell. Er ist nicht einmal ein Sarrazin; dann hätte er zumindest mehr gewusst. Was er alles nicht weiß, faktisch, aus allen Diskussionen und Berichten der vergangenen Jahre, Monate, Tage um den Nahen Osten. Und wenn er es doch wüsste? Dann wäre das Schlimmste von allem, dass er bei seinem Präventivgedicht unterschlägt: Nie hat Israel mit einem atomaren Erstschlag gedroht, nicht gegen den Iran, gegen niemanden. Nie hat Israel einen anderen Staat auslöschen wollen. Wie der Iran. Und hat der Schah sich selbst vertrieben?

Das Leben und Wirken von Grass in Bildern:

Damit möchte man es bewenden lassen. Weil man ihm, dem großen Irrenden, nicht noch mehr Raum geben will. Es ist genügend angedichtet. Denn das ist doch die Grass-Falle: ihn bitter ernst zu nehmen, als politische Größe und als politischen Akteur wahrzunehmen. Das tut, wer ihm bis ins (falsche) Detail widerspricht. Und zur Falle gehört, mehr um Verständnis für ihn zu ringen, als er Verständnis in der Sache aufbringt. Der Nennwert sind seine Worte. Die gelten. Sie sind kaum misszuverstehen: Er sieht Israel als arg an, als Ärgernis – und zwar für sich, der glaubt, für Deutschland zu schreiben. Er sieht nicht den Staat der Juden im Herzen eines Konflikts, der sein Unglück sein kann, sondern Israel als Unglück an.

Das ist seine Sache. Soll er sich damit in sein Unglück und vom Sockel stürzen. Gäbe es nur eben das Missverständnis im Ausland nicht, dass dieser Mann, Nobelpreisträger, nicht für sich, sondern für dieses Land stünde. Dass die Eliten, die Intellektuellen, die Regierenden im Geheimen so reden, wie er es schreibt. Dass hinter allem steht, was nur er allein sich zu sagen traut, unsere Regierungschefin aber nicht. Dass nicht wahr ist, was sie sagt: Für das Deutschland heute ist das Überleben Israels Staatsräson.

Ach, Grass. Zu fürchten ist, zu befürchten auch, dass sich hier einer um den Ruhm schreibt, wenigstens um den Ruf, dass er was zu sagen hätte. Weil er die Weisheit des Alters hätte. Oder weil er eine moralische Instanz wäre. So ist es nicht. Seine Worte sind ein Schlag gegen moralische Integrität. Weisheit spricht aus seinen Worten nicht; er wägt nicht, er weiß nicht. Was übrig bleibt? Das Alter. Und dass er Willy Brandt gut kannte. Und selbst das ist lange her.

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