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Die Palästinenser wollen ihr Streben nach einem eigenen Staat von der UN völkerrechtlich absegnen lassen.

© dpa

Israel unter Druck: Weniger Chancen auf Frieden

Die Palästinenser können auf ihrem Weg zu einem eigenen Staat auf viel Unterstützung in der UN-Vollversammlung hoffen. Doch ein Israel, das in die Enge gedrängt wird, neigt eher zum Trotz als zur Nachgiebigkeit, meint Malte Lehming.

Es irritiert, ja beunruhigt, wie gern in der öffentlichen Wahrnehmung – auch in Deutschland – ein Grundgesetz des Nahostkonflikts missachtet wird. Dieses Gesetz stammt von Jean Amery, und es besagt: In der Region steht Recht gegen Recht, aber es steht nicht Gefahr gegen Gefahr gleicher Ordnung. Aus israelischer Perspektive rotiert das Rad der Geschichte seit mehreren Monaten rapide auf eine Katastrophe zu. Das Verhältnis zur großen Schutzmacht USA hat sich unter Barack Obama abgekühlt bis zur Fröstelei, derweil baut der Iran munter weiter an seinem Atomprogramm, die Hisbollah sitzt im Libanon faktisch an den Hebeln, zur Hamas in den Gazastreifen werden immer neue Waffen geschmuggelt, in den beiden wichtigsten Machtzentren der unmittelbaren Nachbarschaft, Türkei und Ägypten, ist die Stimmung offen feindselig geworden, auch in Jordanien fängt es zu brodeln an.

Was bei uns als „arabischer Frühling“ gefeiert wird, ruft in Jerusalem die Angst vor einem kriegerischen Winter hervor. Denn kein Zweifel: In dem Maße, wie zwischen Tunis, Tripolis und Kairo die Volksmeinung zu zählen beginnt, werden auch anti-israelische Ressentiments laut und lauter. In jenen arabischen Ländern wiederum, in denen sich noch die Despoten an die Macht klammern, flüchten sich auch diese in die anti-israelische Rhetorik, damit sie vom Volk nicht zusätzlich der Kumpanei mit dem „zionistischen Gebilde“ bezichtigt werden können. Der revolutionäre Elan der Protestbewegung verpufft nicht etwa mit dem Sturz der Diktatoren, sondern richtet sich auf ein neues, altes Ziel. Das Erbe von Camp David, Oslo und vom Frieden mit Jordanien ist akut bedroht. Die Zeit springt gleichzeitig vor und zurück.

Der diplomatische Sieg der Palästinenser darf nicht so überwältigend sein, dass er für Israel als demütigend empfunden wird. Weiter auf der nächsten Seite.

Nun wollen die Palästinenser zu den Vereinten Nationen gehen, um sich ihr Streben nach einem eigenen Staat völkerrechtlich absegnen zu lassen. Eine große Mehrheit in der UN-Vollversammlung ist ihnen sicher. Es ist ein einseitiger Schritt, aber in Anbetracht vieler israelischer Einseitigkeiten – vom Siedlungsbau bis zum Abzug aus dem Gazastreifen – klingt dieser Einwand nicht triftig. Seit 44 Jahren herrscht Israel über die Palästinenser. Deren berechtigtes Verlangen nach Würde und Selbstbestimmung findet seinen Widerhall in den Freiheitsrevolten der ganzen Region. Hier wie dort ist die Geduld der Menschen am Ende. Wer wollte es ihnen verübeln?

Allerdings ist es ein Irrtum zu glauben, dass Druck auf Israel automatisch die Chancen auf Frieden vergrößert. Im Gegenteil: Ein Israel, das in die Enge gedrängt wird, neigt eher zum Trotz als zur Nachgiebigkeit. Darum wäre es verheerend, wenn Israel in dieser Woche international isoliert würde. Der diplomatische Sieg der Palästinenser darf nicht so überwältigend sein, dass er für Israel als demütigend empfunden wird. Einen gerechten Ausgleich mit den Palästinensern gibt es am ehesten dann, wenn in Israel die Einsicht reift, dass die fortgesetzte Besatzung ein Fluch ist, von dem man sich aus eigenem Interesse befreien sollte. Dass das Land geteilt wird und am Ende zwei Staaten nebeneinander existieren müssen, ist längst Konsens. Doch nur, wenn die Weltgemeinschaft nicht nur nominell Recht gegen Recht stellt, sondern auch die Gefahren bedenkt, denen Israel ausgesetzt ist, kann den Palästinensern das Recht außer bei den UN in New York schließlich auch in Jerusalem, Hebron, Nablus und Ramallah gewährt werden.

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