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Israelische Militäraktion: Sich selbst geschlagen

Israel hat sich selbst mehr geschadet, als es alle „Freiheitskämpfer“ zu träumen gewagt hätten: Das Militär stoppt eine Hilfsflotte für den Gazastreifen – mit verheerenden Konsequenzen.

Zugestanden: Der Gazastreifen ist kein Freiluftgefängnis; es gibt Gegenden auf der Welt – Darfur zum Beispiel –, in denen die humanitäre Lage weitaus dramatischer ist; die Israelis haben das Gebiet vollständig geräumt; die Macht übt dort die radikalislamische Terrororganisation Hamas aus; blockiert wird der Gazastreifen ebenso von ägyptischer Seite; dennoch erreichen die Bewohner wöchentlich rund 15 000 Tonnen humanitärer Hilfe; unter den rund 700 propalästinensischen Aktivisten an Bord der sechs Schiffe der „Free Gaza Bewegung“ waren wohl auch Militante und Islamisten; gut möglich, dass die israelischen Elitesoldaten beim Versuch, die Flotte zu stoppen, von ihnen attackiert worden waren.

Trotzdem war die Aktion ein katastrophaler Fehler. Dilettantisch in der Durchführung, blutig in der Konsequenz, verheerend im Echo: Israel hat sich selbst mehr geschadet, als es alle „Freiheitskämpfer“ zu träumen gewagt hätten. Sie haben Opfer zu beklagen, aber einen gewaltigen Sieg errungen. Das Schlachtfeld der Bilder verlassen sie im Triumph.

Spektakulär sollte Israel der Inhumanität bezichtigt werden. Dieser perfiden Intention ist das Land auf den Leim gegangen. Wer sechs Schiffe mit 10 000 Tonnen humanitärer Hilfe an Bord nicht anders stoppen kann als durch ein Blutbad, begangen in internationalen Gewässern, hätte diese Schiffe ihr Ziel erreichen lassen sollen – wie es in fünf von neun Fällen seit August 2008 praktiziert worden war. Die Folge hätte ein Autoritätsverlust sein können, der verschmerzbar gewesen wäre, gemessen an dem gigantischen Ansehensverlust als Folge aus dem jüngsten Fiasko.

Für Israels Sicherheit sind mindestens zwei Faktoren entscheidend: die USA und die Palästinenser. Unter Barack Obama war der Ton ohnehin rauer geworden. Denn für den US-Präsidenten liegt eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts im „vitalen Sicherheitsinteresse“ der Vereinigten Staaten. Um in zwei Kriegen zu bestehen, Irak und Afghanistan, sind 200 000 US-Soldaten in der Region stationiert. Der Hass auf sie, meint die Obama-Administration, werde auch durch die arabisch-muslimische Erregung über den Nahostkonflikt geschürt. Der meistgesehene TV-Sender in der Region ist Al Dschasira. Er verstärkt die Wahrnehmung des Konflikts. Das lässt sich zu Recht bedauern, als Faktor indes nicht leugnen.

Im innerpalästinensischen Machtkampf wiederum hat Israel unfreiwillig die Hamas gestärkt. Deren Vertreter tun jetzt so, als träfe sie kein spezifisches, sondern menschliches Schicksal und als säßen sie mit schwedischen Kriminalautoren und irischen Friedensnobelpreisträgern in einem Boot. Unterdessen zetert der rivalisierende Palästinenserpräsident Mahmud Abbas über das „Massaker“, um zu zeigen, dass er propagandistisch mithalten kann. Ein Trauerspiel.

Allein gegen den Rest der Welt, unverstanden, ungeliebt, ungeduldet: So sieht sich Israel oft, wenn es ernst wird. Und leider finden sich viele historische Belege zur Bestätigung dieses Weltbilds. Die Gefahr dabei ist, den Sinn für Realpolitik zu verlieren. Zu diesem Sinn gehört die Einsicht, dass auch der, der sich keiner Schuld bewusst ist, eine Torheit begehen kann.

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