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Meinung: Ist Lobbyismus eine Gefahr für die Demokratie?

„Atomstrom und Zierfische“, vom 8. Dezember In dem Artikel über den Einfluss von Lobbyisten auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag verbreiten Sie das übliche Vorurteil, dass es in erster Linie Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft seien, die Einflussnahme auf die Politiker unseres Landes ausüben.

„Atomstrom und Zierfische“, vom 8. Dezember

In dem Artikel über den Einfluss von Lobbyisten auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag verbreiten Sie das übliche Vorurteil, dass es in erster Linie Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft seien, die Einflussnahme auf die Politiker unseres Landes ausüben. Dies verkennt die Tatsache, dass Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände eine ebenso große Lobby darstellen wie die Vertreter der Wirtschaft. Tatsächlich erkennt man im schwarz-roten Koalitionsvertrag die Handschrift der Wirtschaft fast überhaupt nicht. Vielmehr scheinen dort die Partikularinteressen einer großen Zahl von Sozialromantikern und Fantasten zum Tragen gekommen sein, in einem „Wünsch dir was“-Katalog von wohlfeilen populistischen Wahlgeschenken, die erstens die Wirtschaft und sodann die Allgemeinheit noch teuer zu stehen kommen werden.

Helmuth Holtz, Berlin-Charlottenburg

Tatsächlich gibt es in Deutschland sehr viele verschiedene Interessengruppen, die die Politik beeinflussen. Dazu zählen neben Wirtschaftsverbänden und Unternehmen selbstverständlich auch Gewerkschaften, Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände. Auch deren Wünsche und Interessen schlagen sich in einigen Teilen des Koalitionsvertrags nieder. Ohne den anhaltenden Einsatz etwa der Gewerkschaften hätte es keine Vereinbarung zum Mindestlohn gegeben. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass alle Interessengruppen über den gleichen Zugang zur Macht verfügen.

Lobbyismus in Deutschland findet vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt. Diese spiegeln sich auch bei der Interessenvertretung wider und sorgen für ungleiche Ausgangsbedingungen. Das Machtgefälle gefährdet damit einen demokratischen und am Gemeinwohl orientierten Interessenausgleich. Das pluralistische Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich praktisch von selbst das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.

Lobbyismus in seiner gegenwärtigen Form benachteiligt diejenigen, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen. So droht etwa die wachsende Lobbyübermacht großer transnationaler Unternehmen, ökologische und soziale Belange an den Rand zu drängen. Auch Machtgefälle innerhalb oder zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen führen zu unausgewogenen Entscheidungen. Ein Beispiel: Die Deregulierung des Finanzsektors – als eine der Ursachen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise – wurde maßgeblich von der Finanzlobby vorangetrieben. Dennoch hat die gesamte Gesellschaft die Kosten der Krise zu tragen. Versuche der Einflussnahme sind vielfältig und kleinteilig. Demokratische Institutionen müssen auf eine angemessene Distanz achten und für ausreichende eigene Kapazitäten zur Abwägung unterschiedlicher Argumente und Interessen sorgen. In der Tendenz erleben wir das Gegenteil: Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyisten immer enger in Entscheidungsprozesse ein. Entscheidungen werden in Expertengremien und Kommissionen ausgelagert oder Gesetzestexte gleich vollständig von Anwaltsfirmen geschrieben. Damit untergräbt der Staat seine Verantwortung für einen fairen und transparenten Interessenausgleich.

Diese Entwicklungen sind zum einen Ausdruck grundlegender Machtverschiebungen zwischen Markt und Staat, deren strukturelle Ursachen in einer marktorientierten Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung liegen. Zum anderen entsprechen sie einem Staatsverständnis, nach dem Politik als Management betrieben wird und der Staat eher eine moderierende denn eine gestaltende Rolle hat. Triebkräfte dieses Staatsverständnisses wiederum sind diejenigen, die vom Politikoutsourcing profitieren.

Auch personellen und finanziellen Verflechtungen zwischen Politik und Lobby sind in Deutschland Tür und Tor geöffnet: Ehemalige Spitzenpolitiker dürfen nahtlos in Lobbyjobs wechseln, Unternehmen und Verbände dürfen den Parteien Gelder in unbegrenzter Höhe zukommen lassen und Bundestagsabgeordnete dürfen sich neben ihrem Mandat als Lobbyisten betätigen. Registrierungspflichten für Lobbyisten gibt es keine. Hier fehlt der politische Wille, Lobbyisten mit klaren gesetzlichen Regeln in die Schranken zu weisen.

Die Wirtschaft und die Allgemeinheit wird es teuer zu stehen kommen, wenn sich die Politik einseitig bestimmten Lobbyeinflüssen öffnet und Lobbyismus weiterhin ungeregelt ist. Denn dann haben vor allem diejenigen Einfluss, die über gute Zugänge zu politischen Entscheidungsträgern und ausreichende Finanzen verfügen. Der Koalitionsvertrag sieht Regeln für Seitenwechsler vor, auch ein verbindliches Lobbyregister für mehr Transparenz war in den Koalitionsgesprächen Thema. Es ist zu hoffen, dass die neue Regierung hier endlich handelt. Wirksame Lobbyregulierung ist eine Voraussetzung für eine lebendige und gemeinwohlorientierte Demokratie.

— Dr. Christina Deckwirth, Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin im Berliner Büro von LobbyControl e. V., www.lobbycontrol.de

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