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Sprach zum 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz: Christian Wulff.

© dpa

Jahrestag der Wannseekonferenz: Wulffs Rede bleibt ungehört

Ein Bundespräsident redet zum Holocaust. Doch von der Macht der Rede ist nichts zu spüren. Zu groß ist die Konzentration auf den, der sie hält.

Das Peinliche an der ganzen Affäre Wulff ist doch immer wieder das Kleinliche. Das Unangemessene. Christian Wulff hat das provoziert. Aber es zieht nicht nur den Bundespräsidenten herab, es verstrickt auch das Land ins Kleinkarierte, je mehr über Bettwäschen, Bobbycars oder Flugmeilenfutzikram gerechtet wird. Und berichtet werden muss.

Ganz unangemessen aber wird es, wenn der Bundespräsident beim gestrigen Gedenktag im Haus der Berliner Wannsee-Konferenz eine Rede hält, und selbst bei solchem Anlass nun der bedingte Reflex einsetzt: zu schauen, zu fragen, wie hat er sich da benommen, wie hat er gewirkt, und was verrät seine Rede jetzt über ihn.

Um es gleich zu sagen: Christian Wulff hat eine im Ton ungravitätisch schlichte, gewiss nicht staatsmännische, aber (darum) persönliche Ansprache gehalten. Anfangs malte er die Idylle des Wannsees aus, mit „Segeln, Schwimmen“ und „verliebten Stunden zu zweit“, um dann die Villa am See als Ort und Symbol des „unvorstellbaren“ Schreckens dagegenzusetzen. Die Idylle verband er mit dem Film „Menschen am Sonntag“, den der spätere Hollywood-Emigrant Billy Wilder 1930 als junger jüdischer Drehbuchschreiber am Wannsee begleitet hatte. Wulff schlug den Bogen auch zur 90-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedlander, die er im Schloss Bellevue zu Gast hatte, und zum anwesenden israelischen Minister Peled, der als Kind nur „durch christliche Adoption“ gerettet wurde.

Das war alles anständig. Wulff hatte am 27. Januar 2011 in Auschwitz, zum Jahrestag der Befreiung des Mordlagers, dort übrigens als erster deutscher Präsident gesprochen. Jetzt in der Wannseevilla benannte er „Scham und Zorn“ und die deutsche Verantwortung. Anständig, nie anstößig – allerdings auch keinen tieferen Gedanken anstoßend. Also keine Weizsäcker- Rede, wie einst am 8. Mai 1985.

Die Macht der Rede, so heißt es immer wieder, sei indes die einzige Macht eines Bundespräsidenten. Nun erinnert man außer der Berliner „Ruck“-Rede vom höchst respektablen Roman Herzog auch nicht mehr sehr viel – und jener präsidiale Weckruf kam 1997 eher beiläufig und erst drei Jahre nach seinem Amtsantritt. Der Redner Rau? Oder gar Horst Köhler? Von ihm bleiben als Formulierung wohl nur die „Monster der Finanzmärkte“.

Christian Wulff hatte in der Auseinandersetzung mit seinem ambitionierten Gegenkandidaten Joachim Gauck unmittelbar vor der Bundespräsidentenwahl im Juni 2010 davon gesprochen, das Schloss Bellevue zu einer „Denkfabrik“ zu machen. Wie Friedrich der Große einst Voltaire an seinen Hof geholt habe, meinte Wulff, so wolle auch er Wissenschaftler und Künstler zu seinen Beratern machen, um Deutschland mit neuen Ideen voranzubringen.

Das klingt heute: vergessen, vermessen, also wiederum unangemessen. Fast lachhaft, wiewohl es mit Mut und Aberwitz auch eine Chance wäre. Nur, wer will heute noch zu Wulff ins Bellevue? Selbst gute Redenschreiber für große Anlässe sind dort schon rar.

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