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Meinung: Janz Paris is eene Wolke

Francois Mitterrand und Helmut Kohl hatten ein Gespür für Stil: ein langer Händedruck über den Gräbern von Verdun. Schlicht, einfach, würdig … und dazu preiswert.

Francois Mitterrand und Helmut Kohl hatten ein Gespür für Stil: ein langer Händedruck über den Gräbern von Verdun. Schlicht, einfach, würdig … und dazu preiswert.

603 Abgeordnete von Berlin nach Paris zu bringen, das ist eine andere Sache. Komplizierter und viel teurer. Wenn man der Reisekosten-Buchhaltung der „Bild“-Zeitung folgt, dann müssen Gerhard Schröder und Jacques Chirac den Kopf verloren haben und bereit sein, das Geld des deutschen Steuerzahlers mit vollen Händen aus den hohen Schlossfenstern von Versailles zu werfen. Während die Abgeordneten im Sonntagsstaat mit Champagner anstoßen, gleicht Deutschland – das weiß ja alle Welt dank der unzähligen Klagelieder und Meckerorgien – immer mehr einem riesigen Elendsviertel, in dem das Lumpenproletariat unter neuen Steuern und Sozialkürzungen blutet.

Um eine neue Neiddebatte im Ansatz zu ersticken, hat der Bundestag den Geldbeutel geschlossen: Die Abgeordneten müssen noch abends nach Berlin zurück. Wer in Paris übernachten möchte, soll das aus eigener Tasche bezahlen. Keine Frage, beteuert „Bild“, dass der Steuerzahler diese Eskapade bezahlt. Und schon entwickelt sich das Bild einer parlamentarischen Gruppenreise, bei dem die Abgeordneten, leicht angesäuselt vom „Chateau Margeaux“ im Schloss von Versailles, anschließend im Pigalle aussteigen und das „Moulin Rouge“ stürmen.

Paris, dieser Hort von Versuchung und Sünde, Hauptstadt der petites femmes, leichtlebig und einfach zu haben, Cancan, die Beine in die Luft … Federboa, Volants und Pailletten … außereheliches Nachtvergnügen für den Abgeordneten aus Zehlendorf-Ost. Ah, eine Nacht in Paris – und schon ist die deutsche Demokratie verführt.

Angela Merkel möchte sie retten, die Demokratie. Und stößt eine schreckliche Drohung aus: Die Vorsitzenden aller Fraktionen sollen das Wort ergreifen. Gnade, Madame Merkel, ersparen Sie uns diese endlose Salbaderei über die deutsch-französische Freundschaft, vorgetragen von den matten Volkstribunen Ihres Parlaments. Aus dem frivolen Betriebsausflug würde für Ihre 602 Kollegen ein wahrer Leidensweg.

Statt sich den kleinkarierten Berechnungen haltloser Knauserer auszuliefern, statt die großen Lobgesänge auf die Demokratie hervorzukramen – könnte man es nicht wagen … ein großes Fest zu feiern? Ohne falsche Zurückhaltung auf Symbolisches zu vertrauen? Schließlich hat doch Paris Berlin eingeladen, gemeinsam den Geburtstag eines großen historischen Moments zu feiern, der die Zukunft Europas bestimmte – in einer angemessenen Kulisse: der Galerie der Schlachtbilder in Versailles.

Mir läuft ein Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, dass man es der „Bild“-Zeitung überlässt, den Zeremonienmeister zu spielen: Stullen und Lambrusco im Charme der Salons des Hotels „Interconti“, Budapester Straße. Preiswerter, ohne Zweifel. Aber würdig?

Die Autorin schreibt für das französische Magazin „Le Point". Foto: privat

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