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Joachim Gauck.

© dapd

Joachim Gauck: Bundespräsidenten haben die Freiheit zur Fehlbarkeit

Joachim Gaucks Thema ist Freiheit. Auch er hat Freiheit - die Freiheit nämlich, Fehler zu machen. Aber er ist vorsichtiger geworden.

Am Ende dieser Woche hat das Land einen neuen Bundespräsidenten. Gewählt wird er – und dass es ein „er“ wird, daran gibt es kaum einen Zweifel – an einem symbolträchtigen Tag: dem 18. März. An diesem Tag des Jahres 1848 kämpften die deutschen Revolutionäre für Freiheit und Demokratie; an diesem Tag des Jahres 1990 gab es in der DDR die erste freie Volkskammerwahl. Freiheit – das ist auch das Thema von Joachim Gauck, dem Kandidaten von fünf der sechs im Bundestag vertretenen Parteien. Dass Gauck so passend am 18. März gewählt werden kann, verdankt er einem Zufall: Seit dem Rücktritt seines Vorgängers werden dann dreißig Tage vergangen sein, die maximale Zeit, die bis zur Neuwahl verstreichen darf.

Bevor Angela Merkel auf Gauck als Kandidat eingeschwenkt war, hatte sie gemäkelt, dieser sei zu „monothematisch“, Freiheit reiche nicht aus für eine Präsidentschaft. Ob das nun Verlegenheit war oder Überzeugung, es bleibt ein seltsames Argument. Welches Thema ein Präsident zu besetzen gedenkt, hat bei der Auswahl noch nie eine Rolle gespielt; im Vordergrund standen stets funktionale Gedanken. Ebenso wenig wurde bisher die Frage, ob ein Präsident seine Sache gut gemacht hat, als Kriterium für die Gewährung des Ehrensoldes und der fortwährenden Amtsausstattung herangezogen. Das ist jetzt anders. Die erbarmungslose Abrechnung mit Wulff und die erbarmungslose Erwartung an Gauck markieren einen Einschnitt.

Während sich Wulff zurückgezogen hat in ein Kloster, stehen Gauck und seine Gegenkandidatin, die von der Linken nominierte Beate Klarsfeld, im frischen Wind der freien Meinung. Hier der Stasi-Jäger, dort die Nazi-Jägerin, mehr Geschichte geht kaum. Aber es gibt immer noch mehr Geschichten: dass Gauck dem Bundestag einst nicht die Wahrheit sagte, als er nach der Zahl der früheren Stasi-Leute in seiner Behörde gefragt wurde; dass Klarsfeld von der DDR 2000 Mark bekam, als sie dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und damaligen Kanzler Kiesinger ins Gesicht schlug. Gauck hat, vorsichtiger geworden, einige saloppe Bemerkungen relativiert: So hätte er Sarrazin nicht mutig, sondern frech nennen sollen, sagt er heute; bei der Integrationsdebatte sei er „zu unbefangen“ gewesen. Dabei ist es doch das, was ihn auszeichnet: dass er nicht jedes Wort so lange schleift, bis es jedem gefällt. Nicht frech, sondern mutig war er, als er gegen Helmut Kohl auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre für die Herausgabe der Stasi-Abhörprotokolle kämpfte, wie ein früher Pirat gewissermaßen. Dass es zu seinem Geschäft gehöre, auch dem empörten „Bürger Kohl“ unparteiisch und verständnisvoll zu begegnen und ihm die Gesetzeslage zu erklären, sagte er da. Geradezu präsidial war das, damals schon.

Ob Gauck ein echter Bürgerrechtler war oder nur ein später – das hat mit seiner Eignung fürs Amt nichts zu tun; seine Autorität, über Freiheit zu sprechen, ist davon frei. Er könnte sie nutzen, um daran zu erinnern, dass bei der Gedenkfeier für die Opfer der Neonazis die Angehörigen nur einem Politiker dankten, seinem Vorgänger nämlich; und dass sich daraus für diesen nachpräsidiale Aufgaben ergeben.

Und er könnte seine Autorität dazu nutzen, einen Aspekt von Freiheit hervorzuheben, der kaum bedacht wird, aber doch elementar ist: die Freiheit, etwas zu wagen, mal naiv zu sein oder unbedacht, Dinge infrage zu stellen und auch sich selbst, heute klüger zu sein als zuvor, also: die Freiheit, Fehler machen zu können. Was für ein Thema.

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