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John Roberts: „Kröten gehen Washington nichts an“

Nichts, was Barack Obama gemacht hat, war so umstritten wie die Gesundheitsreform. Über die muss nun das Oberste Gericht entscheiden - und dem sitzt der Konservative John Roberts vor. Ein Porträt.

Wie gut für Barack Obama, dass US-Bürger keine Arroyo-Kröten sind. Sonst sähe es düster aus für den wichtigsten Erfolg seiner Präsidentschaft: die Gesundheitsreform. Und damit für seine Chancen auf eine zweite Amtszeit. An diesem Montag tritt der Supreme Court zusammen, um über die Verfassungsmäßigkeit der Reform zu beraten. Auf drei Tage erstrecken sich die Anhörungen. Eine so intensive Prüfung eines Gesetzes hat es seit 45 Jahren nicht mehr gegeben. Setzen sich die Republikaner mit der Argumentation durch, die Verfassung gebe der Bundesregierung nicht das Recht, jedem Bürger eine Krankenversicherung vorzuschreiben, wird es schwer für Obamas Wiederwahl.

Experten glauben freilich nicht, dass die Reform so einfach als verfassungswidrig einzustufen ist. Das Gericht ist zwar ideologisch gespalten. Von den neun Richtern gelten vier als konservativ und vier als progressiv. Den Ausschlag gibt meist der Mann in der Mitte, Anthony Kennedy. Doch bei der Kernfrage sind selbst Konservative gespalten: Fallen Krankenversicherungen unter die „Interstate Commerce Clause“? Die Bundesregierung darf nur jene Wirtschaftsfragen regeln, die über die Grenzen eines Einzelstaats hinaus wirken. Der Vorsitzende Richter John Roberts hat 2003 als Berufungsrichter geurteilt, Bundesrecht zum Artenschutz sei nicht maßgeblich bei der Frage, ob Kalifornien den Lebensraum der Arroyo-Kröte, ein kleiner Teil des Staats, für Wirtschaftsentwicklung öffne – weil „diese unglückliche Kröte ihr ganzes Leben allein in Kalifornien verbringen wird“. Eine andere Frage ist, ob der Zwang, eine Versicherung abzuschließen oder zur Strafe eine Abgabe zu bezahlen, eine Art Steuer sei. Dann dürfen Gerichte erst urteilen, sobald diese „Strafsteuer“ in Kraft ist: Das wäre 2015.

Ebenso komplex wie die juristischen Details sind die Beziehungen der Beteiligten. Mit dem Urteil wird vor der Sommerpause gerechnet. Roberts wird die Begründung wohl selbst verfassen. Er wurde 2005 unter George W. Bush ernannt. Obama stimmte als Senator gegen Roberts Ernennung. 2009 verpatzte Roberts Obamas Amtseid: Er verhaspelte sich, als er dem Präsidenten die Formel vorsprach. 2010 kritisierte Obama in seiner Rede zur Lage der Nation offen ein Urteil zur Wahlkampffinanzierung, zum Ärger der anwesenden Richter. Sie haben es nun in der Hand. Ist Obamas Kernprojekt verfassungsgemäß? Wenn ja, gibt ihm das Rückenwind mitten im Wahljahr. Christoph von Marschall

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