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Meinung: Joschka Fischer: Lob des Wahlvolkes

Etwas Merkwürdiges ist geschehen. Seit Wochen tobt eine Auseinandersetzung um Joschka Fischers Vergangenheit.

Etwas Merkwürdiges ist geschehen. Seit Wochen tobt eine Auseinandersetzung um Joschka Fischers Vergangenheit. Die Opposition witterte - unterstützt von der Springer-Presse, die alte Beißreflexe reanimierte - die Möglichkeit, den zentralen Minister der rot-grünen Regierung zu stürzen.

Fischer machte dabei bestenfalls eine leidlich gute Figur. Aber in solcher Lage existiert auch wohl nur der Mittelweg zwischen zwei Fallen: Gibt sich der Beschuldigte uneinsichtig, befördert er das Spiel des Gegners, der ein möglichst starres Ziel braucht, um jene Lagerbildung voranzutreiben, ohne die kein Kulturkampf funktioniert. Gibt sich Fischer indes zu bußfertig, klebt dem Minister das Image, ein Opportunist zu sein, wie ein Kaugummi am Schuh. Deshalb muss er beides ein bisschen sein - und nichts zu viel. Das kann nicht souverän aussehen.

Kurzum: Fischer war in einer no-win-Situation. Umso verwunderlicher ist das Ergebnis einer dimap-Umfrage: Fischers Popularität ist ungebrochen, nach wie vor ist er der mit Abstand beliebteste Politiker weit und breit. Das ist erstaunlich, weil es ein Grundgesetz des medialen Politik-Business auf den Kopf zu stellen scheint: Wer in die Nähe eines "Skandals" gerät, wird vom Wahlvolk bestraft. Wer, wie Fischer, in den Ruch kommt, vielleicht zu lügen, verliert seine "Glaubwürdigkeit" - und das ist gerade in postideologischen Zeiten die harte Währung der Politik.

Skandal! Welcher Skandal?

Warum also schadet die Affäre Fischers Renommee nicht? Eine mögliche Erklärung geht so: Die mediale Wirklichkeit und das, was die Leute empfinden, haben zusehends weniger miteinander zu tun. Die Medien produzieren immer mehr "Skandale", die immer weniger interessieren. So soll schon die Enthüllung, dass Fischer vor 30 Jahren mit den falschen Leuten frühstückte oder dass Hans Eichel es an der akkurat-korrekten Nutzung der Flugbereitschaft hat mangeln lassen, die Empörungsbereitschaft des Publikums mobilisieren. Medien neigen schneller als früher zum Skandalisieren - und verwechseln danach ihren eigenen "Hype" mit dem öffentlichen Interesse. Das mediale Skandalangebot ist gewachsen - das allgemeine Bedürfnis, gelegentlich Politiker stürzen zu sehen, offenbar nicht.

Um die Nachsicht mit Fischer zu ergründen, haben einige Konservative tief in die Volksseele geschaut: Die Deutschen hätten schon die Nazis still amnestiert, so machen sie es, gewissermaßen aus Gewohnheit, mit den "68ern" heute wieder. Aber solche Analogiebildung verrät vor allem einen ideologisch überladenen Totalitarismusbegriff, in dem der Straßenkampf salopp neben den Holocaust rückt. Überhaupt haben die konservativen Erklärungen für Fischers Popularität einen leicht beleidigten Unterton: Hier rätseln Verlierer über eine doppelte Niederlage. Der Minister hat die Affäre bisher ziemlich schadlos überstanden, und auch in dem mit einiger Anstrengung auf den Spielplan gesetzten "Kulturkampf um 68" konnten kaum Punkte gemacht werden. Manche, wie der grundvernünftige Heiner Geißler oder Peter Boenisch, scherten früh aus dem eigenen Lager aus - Geißler, weil er Fischers pro-amerikanische Wandlung verteidigte, Boenisch eher aus ritterlichem Respekt für die Gegner von gestern.

Geißler und Boenisch wirkten nobel - die Ankläger hingegen zusehends kleinlich. In jeder Talkshow fand sich ein Konservativer, der unermüdlich Entschuldigungen verlangten, die Fischer längst und mehr als einmal in Parlament und TV geleistet hatte. So verkehrten sich die Rollen. Nicht die 68er - die deutschen Rechten schienen ein Problem mit der Vergangenheit zu haben: Taub forderten sie Distanzierungen und schienen noch immer in den Schützengräben zu hocken, die längst im Museum, Abteilung 70er Jahre, zu besichtigen sind.

Fischers Biografie ist eine brauchbare Projektionsfläche, um das bundesdeutsche Selbstbild zu spiegeln. Vom Rebell, vom Außenseiter zum Staatsmann, das ist auch eine kollektive Wunschbiografie. Ist diese Karriere nicht der Beweis, wie offen und tolerant wir geworden sind? In dieser Projektion stecken natürlich auch mythische Teile, was denn sonst? Irrationaler als die Identifikation mit dem Patriarchen Adenauer oder mit Willy Brandt ist die Neigung zu Fischer nicht. Im Gegenteil: Die kampagnenresistente Sympathie für Fischer zeigt eher, dass die Rationalität manchmal zu Hause ist, wo man sie in Deutschland traditionell selten vermutet: bei den Bürgern.

Stefan Reinecke

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