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Josef Joffe: Die Deutschen und das Anti-Adolf-Gen

Rückt Deutschland nach rechts? Warum fühlen wir mit den chilenischen Bergleuten? Warum jammern wir über Merkel? Und was macht eigentlich Amerika? ZEIT-Herausgeber Josef Joffe antwortet.

Nun rücke auch Deutschland nach rechts, schreibt die „New York Times“. Ist der Ruf des Landes gefährdet?

„WmdW“ weiß nicht, was „nach rechts rücken“ in einem Land heißt, in dem die linken Parteien wieder eine strukturelle Mehrheit (von derzeit 56 Prozent) haben und die Union so rechts ist wie sein linker Daumen. Das Gros der Medien behandelt Sarrazin als Krypto-Faschisten. Harte Fragen über Einwanderung werden in der politischen Klasse nicht gestellt: Wer darf kommen, welche Bringschuld haben sie, was darf die Mehrheit ihnen abverlangen? Der „NYT“-Korrespondent Vinocur macht, was wir (leider) alle machen: ein Zitat hier, ein Anekdötchen dort, eine Umfrage – und fertig ist die Sensation. Wir sehen, was wir sehen wollen. Tatsächlich wird es in D keine „Freiheitspartei“ oder „Deutsch-Demokraten“ geben. Der Nazi-Schock sitzt hier zu tief. „WmdW“ macht jetzt den Sarrazin: „Die Deutschen haben ein Anti- Adolf-Gen.“

Die Welt freut sich mit den geretteten 33 chilenischen Bergarbeitern. Gibt es heute eine globale Empathie?

Die gab es schon, als sich die Briten 1821 ff. für den Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken begeisterten. Jedes Erdbeben, jeder Tsunami mobilisiert den humanitären Einsatz sowie die Spendenfreudigkeit. Hat das Schicksal auch noch Gesichter wie bei den Chilenen, wächst das Mitgefühl. Schwieriger wird’s, wo menschliche Gemeinheit im Spiel ist, siehe Ruanda, Somalia, Kongo, Sudan … Unser Mitgefühl findet seine Grenzen dort, wo wir selber, genauer: unsere Soldaten ins Risiko geraten. Die Briten sind damals auch nicht in den Krieg gegen die Türkei gezogen. Mitleid ist eine Frage der Mitleidenschaft.

Deutschland hat 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum. Warum jammern wir trotzdem über Merkel und Co.?

Weil alles relativ ist. Je besser es geht, desto mehr nimmt man die Unbill wahr. Oder so: Mit sinkender realer Gefahr steigt die gefühlte oder befürchtete. Noch nie in der Geschichte der Menschheit sind so wenige (im Westen) an verdorbener Nahrung gestorben wie heute, noch nie war das Lebensrisiko so minimal; ergo wird die Restabwehr zur Besessenheit. Das ist nicht deutsch, sondern menschlich. Die Amerikaner haben allerdings zehn Mal mehr Grund, an ihrem Obama zu kritteln.

Ein Wort zu Amerika …

Hier geht Obama einer heftigen Niederlage in den Kongresswahlen am 2. November entgegen, allerdings aus echten, nicht imaginären Gründen. Die Banken geben keinen Kredit, die Häuserpreise fallen weiter, die Arbeitslosigkeit rührt sich nicht. Da müssten sich die Deutschen über ihr „Wirtschaftswunder II“ eigentlich freuen. Aber im GG steht: Stolz auf die eigene Leistung ist nur alle vier Jahre erlaubt – bei der Fußball-WM.

Josef Joffe ist Herausgeber der „Zeit“ und lehrt bis Jahresende an der Stanford University. - Fragen: Moritz Schuller

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