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Im Seminar werden Konfliktsituationen durchgespielt.

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Justiz und Presse: Sorgloser Umgang mit der Tätersprache

Bei der Berichterstattung über Gewaltverbrechen bagatellisieren Journalisten Gewalttaten, indem sie ungewollt die Begrifflichkeit der Täter übernehmen. Mehr Sensibilität wäre angebracht, meint der Richter Urban Sandherr in einem Gastbeitrag

Zu Beginn der 1970er Jahre wurde bundesweit nach Mitgliedern der „Baader-Meinhof-Bande“ gesucht. Wenig später war nur noch von der „Baader-Meinhof-Gruppe“ zu lesen. Es wäre interessant, was zu diesem Wechsel in der Ausdrucksweise geführt hat. Eine Rolle mag das Bewusstsein gespielt haben, dass die Nationalsozialisten ihren Vernichtungsfeldzug auch sprachlich geführt hatten und ihre Gegner stets als „Verbrecher“ oder eben als „ehrlose Bande“ abgekanzelt hatten. Jedenfalls dürfte der Diktionswechsel in der bundesdeutschen Berichterstattung dem Wunsch geschuldet gewesen sein, möglichst objektiv zu berichten, auch über Terroristen. Das war klug und fortschrittlich. Gewiss war es Ausdruck historisch gewachsenen Bewusstseins und sprachlicher Sensibilität.

Heute erweist die tägliche Zeitungslektüre, dass eine Rückbesinnung auf diese Sensibilität angebracht wäre. Denn allzu oft finden sich Formulierungen, die achtlos die anstößigen Sichtweisen politischer Gewalttäter übernehmen und transportieren.

Schleichend hat sich für die Ermordung wehrloser Menschen ein Wort eingebürgert, das unangemessen, verharmlosend und ethisch falsch ist: Hinrichtung. Ob es um die Genickschussmorde der RAF (Fokustitel zu Hans-Martin-Schleyer: „Hinrichtung im Wald“) oder die Opfer des NSU geht, sie als Opfer von Hinrichtungen zu bezeichnen, erscheint als bedenkliche Aufwertung heimtückischer Bluttaten. Wenn etwa die Frankfurter Rundschau im Zusammenhang mit den NSU-Morden „Hinrichtung im Gemüseladen“ titelt, dann zeugt das von nichts anderem als einem narkotisierten Sprachgefühl. Zutreffend verwendet ist der Begriff der Hinrichtung, wenn es um die vorsätzliche Tötung eines Menschen in einem hoheitlichen oder jedenfalls quasihoheitlichen Akt geht, der Legitimität beansprucht. Das ist bei einer terroristischen Bluttat, begangen an einem zivilen unschuldigen Opfer, nicht der Fall, nie.

Zweites Beispiel: Journalisten sprechen von einem „Angriff“, wo es um nichts anderes als einen mörderischen Überfall geht. Als unlängst Bewaffnete in einem Ladenzentrum in Nairobi wahllos Menschen erschossen und Geiseln genommen hatten, titelte der Spiegel: „Viele Tote bei Angriff auf Einkaufszentrum“. Den Terminus „Angriff“ verwendeten in diesem Zusammenhang: BILD, FAZ, Süddeutsche, taz, Welt, ZEIT und auch die Tagesschau. In einem streng formalen Sinn mag der Begriff hier noch vertretbar sein. Und dennoch impliziert er, anders als die Begriffe „Anschlag“, „Attentat“ oder „Überfall“, eine Ebenbürtigkeit und zumindest eine Verteidigungsmöglichkeit, welche die Opfer in Nairobi gegenüber ihren bis an die Zähnen bewaffneten Mördern nicht hatten.   

„Wir werden Angriffe auf Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat einstellen“, hat die RAF 1992 in ihrer pseudomilitärischen Ausdrucksweise verkündet. Und natürlich weisen es Terroristen rund um den Erdball zurück, als Mörder bezeichnet zu werden. Sie beanspruchen, auch die RAF hat das getan, Vollstrecker legitimer „Hinrichtungen“ zu sein. Es ist nicht gut, dass sich diese Euphemismen der Täter in die Berichterstattung der Gegenwart hineinschleichen konnten. Das Pendel ist damit in die Gegenrichtung ausgeschlagen: Aus der verbalen Verteufelung politischer Gegner durch die Nationalsozialisten ist über eher sensible und bewusste Sprachregelungen in den 1970er-Jahre ein gedankenlos verharmlosender Blick auf die politische Gewalt geworden. Es wäre schön, wenn das erkannt würde und einer Begrifflichkeit weichen könnte, die die Dinge beim Namen nennt. Bei ihrem richtigen.  

Der Verfasser ist Richter am Kammergericht und Redaktionsmitglied der Deutschen Richterzeitung

Urban Sandherr

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