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MTV ist jetzt ein Bezahlsender.

© dapd

Kalle hat verstanden: "Shut MTV down"

MTV hat mit Pop nichts mehr zu tun, dafür aber mit Proll. Außerdem muss der Zuschauer jetzt bezahlen. Deshalb sollte man den kulturellen Niedergang des Senders nicht ignorieren, sondern für seinen Untergang sorgen.

Jetzt passen Sie mal auf und halten Sie sich fest, am besten beides gleichzeitig, denn was ich jetzt vermelde, das werden Sie nicht glauben, das werden Sie nicht fassen können: In ihrem Fernseher gibt es kein MTV mehr. Der Musiksender ist nicht mehr da, der ist weg, verschwunden, allerdings nicht ganz, denn er ist ein so genannte „Bezahlsender“ geworden, dass heißt: Wer jetzt noch MTV schauen will, der muss dafür bezahlen, so wie man dafür zahlen muss, wenn man Bundesligaspiele anschauen will oder relativ neue Filme. Doch anstatt Sport und Action bekommt man von MTV – ja, was bekommt man eigentlich von MTV?

Der Sender behauptet, dass er jetzt, da er Geld kostet, ein „Premium TV Paket“ zu sein, in der altmodischen Anbiederungssprache 50-jähriger Marketingsheinis heißt es: „Es gibt für dich somit die volle Dosis MTV ohne Werbeunterbrechung und in digitaler Qualität mit exklusiven Premieren und kultigen Klassikern.“

Volle Dosis. Kultige Klassiker. Das ganze heißt dann so: „Death Valley“', „The Hills“, „'The City“, „Paris Hiltons BFF UK“, „16 & Pregnant“, „Numbnuts“, „Skins“, „That Girl“, „The Hard Times of RJ Berger“, „My Life As Liz“. Nun ja.

Die Tatsache, dass die Titel alle auf englisch sind, verschleiert nicht, dass es sich im Prinzip um das RTL-Programm handelt, die Sendungen ähneln sich, bei RTL heißt der Quatsch nur eben „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Supernanny“. Jetzt könnte man – durchaus auch zu Recht – sagen: „Ja, gute Güte, ein dämlicher Fernsehsender mehr oder weniger – wen kümmert das?“ Wenn in dieser ganzen Angelegenheit nicht doch eine gewisse Tragik liegen würde:

Unser Kolumnist Matthias Kalle.
Unser Kolumnist Matthias Kalle.

© Privat

Die Älteren werden sich erinnern, was MTV einmal war, wofür es stand. Der Sender, der ja tatsächlich zu Beginn „Music Television“ hieß, startete am 1. August 1981 mit den großen Worten: „Ladies and gentlemen: Rock n Roll.“ Logischerweise war dann das erste Musikvideo, das gezeigt wurde „Video Killed The Radio Star“ von „The Buggles“, und fast 30 Jahre später, hat das Musikfernsehen das Musikvideo umgebracht, denn Musikvideos zeigt das Musikfernsehen schon lange nicht mehr. Dabei war das, was da am 1. August 1981 geschah eine kulturelle Revolution, der Beginn von etwas Anderem, Neuen, Irren, Unglaublichen. Eine Sender zeigte Musikvideos und aus diesen Videos wurde eine Kunstform, die ihren Höhepunkt und möglicherweise auch ihr Ende 1998, 1999 hatte, als heutige Hollywood-Regisseure wie Michel Gondry oder David Fincher aus einem Videoclip ein Ereignis machen konnten.

Dazwischen lagen 20 Jahre Wahnsinn, der eine ganze Generation prägte – und die Art und Weise, wie MTV und die Musikvideos gemacht wurden, prägen heute das Fernsehen und das Kino. Jungs verliebten sich in die Moderatorinnen, Mädchen träumten davon so zu heiraten wie Stephanie Seymour in dem epochalen Guns n Roses Video „November Rain“. Musikclips von Michael Jackson kosteten bald so viel wie Hollywoodfilme und die Premiere seines Stückes „Scream“ glich einem Staatsakt. 1992 startete die Show „Most Wanted“ und deren Moderator Ray Cokes nahm fast alles vorweg, was man heute von Moderatoren wie Oliver Pocher oder Stefan Raab kennt. Es war wie ein Rausch, es war der Siegeszug der Popkultur, und vielleicht ist es nur konsequent, dass sich MTV irgendwann selbst auflöste, denn Pop war schließlich niemals für die Ewigkeit gedacht.

Aber warum dann weitermachen und so tun, als ob? MTV hat mit Pop nichts mehr zu tun, dafür aber mit Proll – während 1992 MTV mit dafür verantwortlich war, dass die Jugend der Welt plötzlich eine Band wie Nirvana verehrte, ist MTV jetzt dafür verantwortlich, dass die Jugend der Welt so sein will wie Paris Hilton.

Und deshalb sollte man den kulturellen Niedergang von MTV nicht achselzuckend ignorieren, deshalb sollte man für seinen Untergang sorgen. Wir kennen die ersten Worte von MTV, jetzt hoffen wir auf die letzten. Unser Vorschlag: Die großen letzten Worte der großen Serie „24“: „Shut it down.“

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