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Meinung: Kampf dem Mythos

Warum die Amerikaner Saddam finden müssen

Vor einer Gefahr schützen kann sich nur, wer sie kennt. Das klingt wie eine Binsenweisheit, wird aber offenbar zu Amerikas größtem Problem im Irak. Die Besatzung ist mörderischer als der gefürchtete Krieg. Kein Tag vergeht ohne Überfälle, Hinterhalte, Tote. Und niemand kann sagen, wer oder was dahinter steckt. Der Widerstand versprengter Truppen, spontaner Volkszorn gegen die Besatzer oder ein von langer Hand vorbereiteter Guerillakampf?

Jetzt meldet sich der gestürzte Diktator mit einem Lebenszeichen. Per Tonband, das arabische Sender ausstrahlen, fordert Saddam die Iraker zum Kampf auf. Hat sein Überleben eine Bedeutung für den Widerstand, ist es gar die Erklärung oder eher belanglos?

Lässt man den Vergleich mit Deutschland 1945 beiseite – Hitler war tot, und welcher Deutsche nach dem langen Krieg und den zermürbenden Bombennächten wäre noch zum Widerstand gegen die Befreier bereit gewesen – drängen sich zwei andersartige Erfahrungen ins Gedächtnis: Rumänien nach Ceausescus Sturz und Afghanistan nach Amerikas Sieg über die Taliban. In Rumänien kämpfte die Geheimpolizei Securitate, die wie eine Armee ausgerüstet war, auch nach Ceausescus Flucht aus dem Palast in Bukarest noch tagelang. Erst als der Diktator vor Fernsehkameras hingerichtet war, endeten die Schüsse aus dem Hinterhalt.

In Afghanistan wuchs die Angst vor einem langen Guerillakrieg, als die Amerikaner auch nach dem Fall von Kabul Osama bin Laden nicht zu fassen bekamen. Bis heute ist sein Schicksal unklar. Dennoch wurde er nicht zur Symbolfigur, die den Widerstandsgeist am Leben hält. Die Friedenstruppen in Afghanistan treffen nach wie vor auf vielfältige Probleme – aber die haben nach allgemeiner Einschätzung mit den regionalen Warlords zu tun, sind jedenfalls nicht durch Osama bin Ladens Überleben motiviert.

Hat diese Erfahrung die USA im Irak dazu verleitet, die Suche nach Saddam nicht so wichtig zu nehmen? Jetzt kursieren sogar Gerüchte, es habe einen geheimen Deal gegeben: Die US-Truppen lassen ihn aus Bagdad entkommen, wenn er ihnen dafür blutige Häuserkämpfe erspare. Ob Saddam tatsächlich hinter dem Widerstand steckt, wer weiß. Aber die Stimme aus dem Off nährt seinen Mythos. Die USA haben Saddams Rolle unterschätzt. Sie müssen ihn fassen. Sonst könnten sie dem Mythos am Ende unterliegen.

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