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Kampf gegen Piraten: Kein Fummeln am Grundgesetz

Um Geiseln aus den Händen von Seeräubern zu befreien, braucht es nicht die Bundeswehr und keine Verfassungsänderung.

Der Kampf gegen die Piraten vor der Küste Afrikas ist ein schwieriges Geschäft. Obwohl dort inzwischen Dutzende Marineeinheiten aus allen möglichen Ländern im Einsatz sind, bekommen sie das Problem nicht in den Griff. Die Seeräuber weichen in dem riesigen Meeresgebiet immer weiter aus und bringen ständig neue Frachter nebst deren Besatzungen in ihre Gewalt.

Wenn aber eine Aufgabe kompliziert ist, greifen deutsche Politiker gerne zu scheinbar leicht zu verstehenden Grundsatzdebatten. Und so fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Wolfgang Schäuble nun eine Grundgesetzänderung, um künftig auch Spezialeinheiten der Bundeswehr und der Marine gegen die Freibeuter einsetzen zu können. Der Anlass dafür ist der in letzter Minute abgeblasene Einsatz der GSG 9 zur Befreiung des deutschen Frachters Hansa Stavanger.

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Dabei stellt sich die Frage in diesem Fall gar nicht. Denn nach Ansicht der meisten Experten und See- und Völkerrechtler könnten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) oder Marinetaucher auch jetzt schon gegen die Piraten und zur Befreiung von Geiseln eingesetzt werden. Das EU-Mandat "Atalanta" und der Beschluss des Bundestages erlauben schließlich ausdrücklich ein militärisches, gewaltsames Vorgehen gegen Akte von Piraterie. Und dazu gehören eben auch Geisel-Befreiungsaktionen.

Im Fall der Hansa Stavanger wurde der lange vorbereitete Einsatz jedoch nicht abgebrochen, weil die dafür trainierte Polizeispezialeinheit GSG 9 der Aufgabe nicht gewachsen war, sondern weil den Verantwortlichen und den beteiligten Amerikanern das Risiko für die Einsatzkräfte und die Geiseln am Ende zu hoch erschien. Zu leicht hätten die Piraten auf dem unübersichtlichen Schiff die gekidnappte Besatzung töten können, bevor sie von den Befreiern aufgespürt worden wären. Daran hätte auch die Beteiligung von KSK-Soldaten nichts geändert.

Ohnehin ist die GSG 9 für solche Aktionen auf See wohl besser gerüstet, auch wenn ihr noch einiges an Logistik fehlt, wie in diesem Fall ein Hubschrauberträger, den die Bundesregierung von der US-Navy ausleihen musste. Dagegen müsste das KSK, wie Bundeswehrvertreter einräumen, für solche Einsätze noch weit mehr geschult werden. Die Truppe ist bislang vor allem auf Einsätze an Land spezialisiert.

Deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass es Merkel und Schäuble gar nicht um den konkreten Kampf gegen Piraterie geht, sondern sie im beginnenden Wahlkampf ein alte Forderung der Union aufwärmen möchten: das bewährte Trennungsgebot des Grundgesetzes zwischen polizeilichen Aufgaben und militärischen Einsätzen aufzuheben. Am Ende könnte dann, wie die SPD und die Opposition argwöhnen, auch wieder die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inland stehen.

Die Führung der Bundesmarine drängt schon länger darauf, die verfassungsrechtlichen Restriktionen aufzuheben. Nach ihrer Vorstellung sollte die Bundeswehr außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer eine generelle Eingriffsbefugnis bei Piraterie oder bei Terrorakten zur See bekommen, falls Polizeikräfte dazu nicht ausreichen. Argumente, die wir auch schon aus der unsäglichen Diskussion etwa um den Abschuss von durch Terroristen entführte Flugzeuge kennen.

Verschwimmen also auch auf den Meeren die Bedrohungen, sodass letztlich nur noch militärische Mittel helfen? Piraterie ist eine große und wachsende Gefahr für die Handelsschifffahrt. Aber sie ist – auch wenn das jetzt gerne anders dargestellt wird – keine terroristische oder militärische Bedrohung. Die somalischen Seeräuber sind keine feindlichen Soldaten, sie sind Kriminelle, die aus vornehmlich materiellen Gründen handeln, von einem seit Langem zerfallenen Staat aus.

Der Kampf gegen sie ist deshalb zunächst Aufgabe nicht der Bundeswehr, sondern der Bundespolizei, zu der auch die GSG 9 gehört. Bundeswehr und Marine können dabei, wie jetzt schon am Horn von Afrika, Amtshilfe leisten. Aber es gibt keinen Grund, ohne Not das Trennungsgebot im Grundgesetz auf die Schnelle auszuhebeln. Schon gar nicht kurz vor dem Ablauf der Legislaturperiode. Das scheint jetzt auch Merkel eingesehen zu haben, die am Montag von einer schnellen Grundgesetzänderung wieder Abstand nahm.

Stattdessen gilt es, die GSG 9 besser auszustatten und auszubilden, damit sie schneller eingreifen kann, bevor die Piraten die gekaperten Schiffe in Küstennähe gebracht und die Besatzungen womöglich versteckt haben. Und es gilt, im Einzelfall die Zusammenarbeit zwischen den Spezialeinheiten von Armee und Polizei zu trainieren und zu verbessern.

Aber bei der grundsätzlichen, von den Verfassungsvätern und -müttern nach den Erfahrungen der Naziherrschaft eingeführten Aufteilung muss es bleiben: Gegen Verbrecher - ob an Land oder zur See - geht die Polizei vor, unter dem Kommando des Innenministers. Gegen äußere Bedrohungen haben wir das Militär.

Soll die Bundeswehr oder auch nur ihre Spezialisten vom KSK aber künftig zur Unterstützung etwa bei Geiselbefreiungsaktionen eingesetzt werden, weil die polizeilichen Kräfte tatsächlich nicht ausreichen, dann muss es dafür ein eindeutiges Mandat des Bundestages und eine parlamentarische Kontrolle geben.

Darüber lohnt sich zu debattieren. In Ruhe. Nach der Wahl.

(Zeit online)

Ludwig Greven

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