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Meinung: Kampf um die historische Wahrheit

Polen fürchtet, dass die Deutschen die Geschichte umwerten Von Adam Krzeminski

Der Donnerschlag kam nicht aus heiterem Himmel. Die dunklen Wolken waren seit Monaten über Deutschland und Polen aufgezogen: das Zerwürfnis im Irakkrieg, das Gerangel um die europäische Verfassung und das Zentrum gegen Vertreibungen, dazu die dubiose Preußische Treuhand, die Eigentumsansprüche deutscher Vertriebener an Polen stellt. Das Klima hat sich verändert, auch wenn die nach 1989 gewachsene deutschpolnische Interessengemeinschaft den Wettersturz zunächst abfangen konnte.

Die einstimmige Sejm-Resolution zu deutschen Restitutions- und polnischen Reparationsansprüchen schafft allerdings eine neue Lage. Wenige Wochen zuvor hatten die Koalitionsparteien, die im Parlament eine Minderheit stellen, einen ähnlichen Entwurf abgewehrt. Doch dann schwenkte die führende Oppositionskraft, die Bürgerplattform (PO), auf Konfrontation um. Nach einigen Retuschen im Text und bei Abwesenheit von 130 Abgeordneten kam es zum Knall. Niemand stimmte dagegen, kein Abgeordneter wollte als „schlechter Pole“ gelten.

Also nur ein innenpolitisches Manöver? Schließlich befindet sich Polen seit einem Jahr in einem permanenten Wahlkampf, der wahrscheinlich erst im Frühjahr enden wird. Die nationalkatholischen und euroskeptischen Gruppierungen spüren Rückenwind und wecken die Emotionen dort, wo das seit dem Krieg am leichtesten ist: bei der Beschwörung der „deutschen Gefahr“.

Man kann diese Breitseite des Sejm gegen die Preußische Treuhand als unangemessen empfinden, die Einstimmigkeit in einer Demokratie als bedenklich und die politisch-juristische Position des Papiers als abwegig. Deshalb hat Polens Regierung sich auch distanziert. Und doch bleibt die Resolution ein Lackmustest. Die Atmosphäre der deutsch-polnischen Beziehungen hat sich gewandelt.

Auf der einen Seite sind sie nach wie vor sehr gut und stabil, Gerhard Schröders Warschaubesuch war unlängst der beste Beweis. Auf der anderen Seite verbirgt sich hinter den törichten Restitutionsansprüchen der deutschen Vertriebenen und der krampfhaften Retourkutsche der polnischen Abgeordneten ein authentischer Kampf um die historische Wahrheit und um den Stellenwert der „polnischen Aspekts“ der deutschen Geschichte im deutschen Bewusstsein. Die neue Fokussierung der deutschen Öffentlichkeit auf die deutschen Kriegsleiden – der Vertriebenen, der Ausgebombten, der deutschen Kriegsgefangenen, der vergewaltigten Frauen – ging in der polnischen Wahrnehmung Hand in Hand mit einer Verkennung der polnischen Leiden in mehr als fünf langen Kriegsjahren – und führte zu einer Umkehrung der moralischen Perspektiven. Die Überbetonung der eigenen Opfer relativiere das deutsche Schuldbewusstsein, Opfer und Täter würden dreist vermischt, betonen polnische Publizisten und Politiker.

Sie sind sich ihrer Sache sicher: wenn nicht juristisch, dann zumindest moralisch. „Wir haben nicht angefangen.“ Die deutsche Politik sei unfähig oder unwillig, den Ewiggestrigen das Handwerk zu legen, und drücke sich davor, die Folgen des Krieges auf sich zu nehmen. Deshalb, sagen sie, mussten wir mit dem Zaunpfahl winken.

Der Autor ist Deutschlandexperte der polnischen Wochenzeitung „Polityka“.

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