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Kanzlerin und Partei: Merkel ist keine höhere Instanz

In der Krise geht es ums Prinzip – die Kanzlerin muss ihre Partei deshalb neu erobern.

Von Robert Birnbaum

Im Wettbewerb um das Wort des Jahres hat „Krise“ gute Chancen. Für Angela Merkel ist das eine schlechte Nachricht. Das Wort erhält für sie gerade eine neue, sehr unangenehme Bedeutung. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl rutscht die Union fast im Tagestakt tiefer in Konflikte mit sich selbst. Und diese Krise ist weitgehend hausgemacht.

Ihre Elemente sind bekannt: Merkels Papst-Kritik, ihr Umgang mit Vertriebenenchefin Steinbach, das Dauerfeuer des neuen CSU-Springteufels Seehofer ins eigene Lager, die Irritationen über „Enteignung“ und „Staatsbeteiligung“; und als reiche das nicht, überwerfen sich Merkel und die Fraktion gerade wegen der Jobcenter mit wichtigen Länderchefs. Dieser Konflikt ist für normale Menschen unverständlich, umso mehr verstehen sie nur: Schon wieder Streit. Fast ein Trost für die CDU-Chefin, dass kaum noch eine Kerngruppe der Partei übrig ist, die sich als nächste verärgert abwenden könnte.

Das heißt nicht, dass Merkel an allem schuld ist. An einigem aber schon, für anderes trägt sie Mitverantwortung. Eine CDU-Chefin, die sich nicht mit dem Parteifreund Jürgen Rüttgers anlegt, wenn der in einen Anti-Krisen-Katalog ausdrücklich Staatsbeteiligung aufnehmen will, darf sich hinterher nicht wundern. In Prinzipienfragen hilft kleinteilige Generalsekretärsprosa nicht weiter, die den Konflikt zu kaschieren versucht. Und das besonders Tückische an dieser Krise ist ja, dass es immer ums Prinzip geht, um Fundamentales im Wortsinne: die Fundamente, auf denen CDU- Anhänger in stürmischen Zeiten noch fest zu stehen glaubten.

Wer beispielsweise einmal unter dem Schlachtruf „Freiheit oder Sozialismus“ in den Wahlkampf gezogen ist, kriegt auch drei Jahrzehnte später noch instinktiv Magengrimmen mit Verstaatlichung. Für tiefgläubige Menschen ist der Papst eine höhere Instanz. Dass Benedikt selbst Fehler eingestanden hat, hilft Merkel übrigens kein bisschen; im Zweifel grollen ihr Papst-Verehrer jetzt erst recht.

Ähnlich im Fall Steinbach. Selbst bei Parteifreunden, die Merkels komplizierte Lage zwischen Polen, Vertriebenen und SPD verstehen, bleibt ein Ungenügen. Nur für Seehofer kann sie wirklich nichts. Der betreibt Politik als Wrestling: Kampfstil und Regeln egal, Hauptsache ich bin oben. Im Ergebnis trägt aber auch das zum vorherrschenden Gefühl tiefer Unsicherheit darüber bei, wo das bleibt, was über alle internen Kämpfe hinweg doch immer „Union“ hieß.

Gegen Gefühl ist schwer ankämpfen, mit Vernunft schon gar nicht. Dafür sind Parteien zu sehr säkulare Glaubensgemeinschaften. Merkel macht überdies die Erfahrung, dass für Parteikrisen das Gleiche gilt wie für Weltkrisen: Man kommt mit dem Löschen dem Feuer nie hinterher. Der schöne Plan vom kurzen Wahlkampf der Beliebtheitskönigin ist jedenfalls perdu. Eine CDU, die hadert, ist nicht kampagnenfähig; das hat zuletzt die Schwesterpartei CSU in Bayern lehrbuchmäßig vorgeführt. Angela Merkel muss sich ihre eigene Partei regelrecht neu erobern. Und ihr bleibt dafür verzweifelt wenig Zeit.

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