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Karadzic in Den Haag: Anfang eines Nervenkrieges

Mit der Aufnahme des Falls Karadzic sieht sich das UN-Tribunal für Kriegsverbrechen nachgerade zum Erfolg verpflichtet. Die internationale Strafjustiz muss aus ihren Fehlern gelernt haben.

Von Caroline Fetscher

Dreizehn Jahre war er auf der Flucht vor diesem Tag. Gestern stand der Mann zum ersten Mal vor seinen Richtern. Der Bart ist ab. Die Zeit der Verkleidung ist vorbei. Aus dem skurrilen Heilpraktiker Doktor Dabic mit der schlohweißen Barttracht hat sich der Psychiater Doktor Karadzic von einst hervorgeschält, der gealterte, ehemalige Präsident der bosnischen Serben.

Ans Licht kommen soll vor dem UN-Tribunal für Kriegsverbrechen jedoch nicht allein das wahre Gesicht des Angeklagten, dem elf Klagepunkte vorgehalten werden, darunter Völkermord, Deportationen, Vertreibungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen an nichtserbischen Zivilisten in Bosnien und Herzegowina. Enorm hoch ist der Druck nicht nur auf den Angeklagten, sondern auch auf dessen Ankläger und Richter. Dass es einem Tribunal mit über tausend erstklassigen Juristen, Ermittlern, Forensikern nicht gelungen war, den serbischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic zu verurteilen, ehe dieser in der Haft starb, bleibt eine Anfangswunde der neuen Ära internationaler Justiz und ein Albtraum für die Opfer.

Zwar ist es ein Trost, dass sich bereits 115 meist hochrangige Angeklagte vor dem Jugoslawien-Tribunal verantworten mussten, dass 56 Urteile ergingen und es derzeit 38 laufende Verfahren gibt. Aber der öffentlich am intensivsten verfolgte Prozess war bisher nun einmal die Causa Milosevic. Mit der Aufnahme des Falls Karadzic sieht sich das Tribunal nachgerade zum Erfolg verpflichtet. Straffer, offensiver, strategisch effizienter muss die Anklage vorgehen, um einem Mann Paroli zu bieten, der, wie Milosevic, als sein eigener Anwalt auftritt. Wesentlich strikter müssen auch die Richter das Verfahren im Griff haben.

Wenn die internationale Strafjustiz etwas gelernt hat aus dem Prozess M., dann dies: Mit ihrer bürgerlichen Rechtstreue und Fairness sind auch hartgesottene Juristen den perfide kalkulierenden Massenmördern von solcher Skrupellosigkeit und solchen Bildungsgrades nur gewachsen, wenn sie deren Strategien, wie Schachspieler, erkennen und sie mattsetzen können. Beleidigt, beinahe depressiv gab sich Karadzic gestern, noch als er sich, in Anspielung auf seine Frömmigkeit, auf jenen „unsichtbaren Berater“ bezog, den er habe. Sein erster Schritt: sich das Mitgefühl nationalistischer, orthodoxer Serben sichern.

Aller Voraussicht nach wird der Prozess K. ein juristischer Kampf und ein Nervenkrieg. Richter und Ankläger werden sich Mühe geben, die Fehler aus dem Prozess M. zu vermeiden. Hier wird es wohl kein Aufgebot von fast tausend Zeugen der Anklage geben, keine halbe Million Blatt Papier an Schriftsätzen. Immense Arbeit hat das Tribunal zudem bereits bei inhaltlich verwandten Verfahren geleistet, deren Früchte diesem Prozess zugute kommen werden.

Konzentrieren muss sich die Anklage, die bald eine revidierte Klageschrift vorlegen wird, auf ihre Stärken, fokussieren auf den Nachweis der militärischen Befehlskette, an deren oberen Ende Karadzic gestanden haben soll. Die Fähigkeit der Ankläger und Richter zum Setzen von Grenzen werden entscheidend sein für den Ausgang dieses Prozesses.

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