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Meinung: Kartell der Heimlichtuer

Von Dagmar Dehmer Die Weichen sind gestellt; doch die Agrarwende ist noch nicht bei der Basis angekommen. Das hat der Skandal um vergiftete Futtermittel gezeigt.

Von Dagmar Dehmer

Die Weichen sind gestellt; doch die Agrarwende ist noch nicht bei der Basis angekommen. Das hat der Skandal um vergiftete Futtermittel gezeigt. Verbraucherministerin Renate Künast hat es geschafft, die Mittel für die Landwirtschaft in Richtung Agrarwende umzuleiten. Doch bis das Neue in allen Amtsstuben und auf allen Höfen verinnertlicht worden ist, werden noch Jahre vergehen.

Was vorsorgender Verbraucherschutz tatsächlich bedeutet, haben offensichtlich nicht einmal die Öko-Landbauverbände begriffen. Selbst wenn man Naturland, dem die meisten in den Nitrofenskandal verwickelten Unternehmen angehören, keine bösen Absichten unterstellt: Die Hoffnung, dass sich das Problem schon von selbst lösen werde, die hatten der Bauernverband und Renate Künasts Vorgänger als Landwirtschaftsminister auch beim Rinderwahn. Anstatt offensives Krisenmanagement zu betreiben, ließ sich jetzt der Ökoverband auf ein Stille-Post- Spiel ein. Dabei hätte Naturland wissen müssen, dass die alte Rechnung, je weniger öffentlich wird, desto kleiner der Skandal, für Gift in Lebensmitteln nicht gilt.

Ob der Nitrofen-Skandal tatsächlich aufgeklärt ist, nachdem eine Ex-Lagerhalle für DDR-Pestizide als Zwischenlager für den Öko-Weizen gefunden wurde, lässt sich noch nicht abschätzen. Denn wer weiß, wie viele Hallen mit noch unbekannten Altlasten inzwischen der Öko-Branche als Lager dienen? Eines ist im Verlauf des Skandals deutlich geworden: In der Öko-Landwirtschaft findet derzeit im Zeitraffer ein Strukturwandel statt, der in der konventionellen Landwirtschaft – abgefedert durch Subventionen – mehrere Jahrzehnte gedauert hat.

Die Wende begann mit dem Fall des eisernen Vorhangs. In der früheren DDR, in Polen und Ungarn standen riesige Flächen und Höfe zur Verfügung. Schnell haben die Betreiber der ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) erkannt, dass auf dem Ökomarkt die besseren Geschäfte zu machen sind, wenn die Produktionskosten niedrig gehalten werden. Bereits Mitte der neunziger Jahre mussten die Überzeugungstäter aus Westdeutschland mit ihren zum Teil winzigen Höfen feststellen, dass sie ihren Weizen nicht zum selben Preis erzeugen konnten wie ihre Kollegen im Osten. Der Verdrängungswettbewerb war damit auch in der – noch – kleinen Nische der ökologischen Produktion eröffnet.

Größe und Öko-Landwirtschaft müssen sich nicht ausschließen. Doch der Schritt heraus aus der Nische bedeutet eben auch mehr Arbeitsteilung. Um das von Renate Künast ausgegebene Ziel zu erreichen, den Anteil der ökologischen Produktion auf 20 Prozent zu erhöhen, wird die Arbeitsteilung sogar noch weiter zunehmen. Naturland hat das schnell begriffen. Der Verband zertifiziert schon seit Jahren auch Öko-Produkte aus dem Ausland – aus Osteuropa ebenso wie aus Entwicklungsländern. Dass dabei gelegentlich Kompromisse bei den ökologischen Standards gemacht werden müssen, liegt auf der Hand.

Der Verband hat sich auch entschieden, die alte Regel im Ökolandbau, die Tierhaltung an die vorhandenen Flächen zu binden, großzügiger auszulegen. Naturland-Betriebe dürfen Kooperationen bilden, um diese Vorgaben einzuhalten. Es geht also nicht mehr darum, dass ein Betrieb seine Tiere mit selbst angebauten Futtermitteln ernähren kann und über genügend Flächen verfügt, um die Exkremente der Tiere darauf auszubringen, ohne Felder zu überdüngen und das Grundwasser mit Nitraten zu belasten. Nun können sich also auch Öko- Betriebe spezialisieren: Einer hält tausende Hühner, Puten oder Schweine. Ein anderer erzeugt das Futter und „entsorgt“ den Mist. Plötzlich sind Ökobauern auf Zwischenhändler und Mischfuttermühlen angewiesen – also auf das alte System der Agrarwirtschaft.

Die Verbraucherschutzministerin tut gut daran, die Kontrolle der Ökobetriebe an die veränderte Realität anzupassen. Denn die beginnende Industrialisierung der Öko-Produktion wird Künast nicht aufhalten können – und auch nicht wollen. Denn selbst eine effiziente, arbeitsteilige Öko-Produktion ist immer noch umweltverträglicher, als eine industrielle konventionelle Produktion. Aber dass Öko allein als Mittel gegen altes Denken in der Landwirtschaft taugt, diese Illusion dürfte Renate Künast in den letzten zwei Wochen aufgegeben haben.

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