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Meinung: Kasernen zu Knästen?

Von Jost Müller-Neuhof

Die Deutschen kriegen zwar immer weniger Kinder, dafür aber immer mehr Gefangene. Seit einigen Jahren schon werden die Knäste voller und voller, ohne dass das Land immer krimineller würde. Mord, Raub, Betrug, Drogen, Gewalt – zu viel, klar, aber keine besonderen Schwankungen, kein Grund für Ängste. Warum also immer mehr Häftlinge? Ganz einfach: In den neunziger Jahren hat sich der kriminalpolitische Wind gedreht. Man wandte sich von der Resozialisierung der Täter ab und dem Schaden der Opfer zu. Die Strafen wurden länger, die Gesetze schärfer, was freilich niemanden daran hinderte, sie wie bisher zu brechen. Überbelegte Knäste – wir wollten es selbst.

Das wäre alles nicht weiter problematisch, wenn Kinder und Kriminelle nicht auch eine Gemeinsamkeit hätten: Sie kosten Geld, sehr viel Geld sogar, ein Jahr Haft ist fast so teuer wie ein Jahr Studium an einer USEliteuniversität: 30 000 Euro. Die Länder stöhnen schon. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Wie mit Kindern soll man auch mit inhaftierten Kriminellen gut umgehen, es steht sogar im Grundgesetz. Der Bundesgerichtshof hat jetzt geurteilt, dass man für kurze Zeit mal ein Auge zudrücken darf. Wenn fünf Männer sich eine Zelle und ein Klo darin teilen, muss der Staat nicht gleich Schadenersatz leisten. Es muss schon etwas schlimmer kommen.

Die Entscheidung ist richtig und abgewogen, weil es schließlich einen Grund gibt, weshalb die Männer mal den Mief der anderen atmen müssen: Sie haben Menschen Leid oder Schaden oder beides zugefügt. Man muss ihre Grundrechte achten, aber man darf sie auch belasten. Nur macht das Urteil die Zellen eher voller als leerer, und immer mehr Menschen immer länger in eine hineinzustopfen, kann keine Lösung sein. Nicht nur der Menschenwürde wegen.

Was also tun? Neue Gefängnisse bauen? Der Steuerzahler wird sich bedanken. Wieder kürzer strafen? Vernünftig wäre es wahrscheinlich, aber das Parlament gehorcht der Öffentlichkeit, und die Gerichte gehorchen dem Parlament. Anders strafen? Eine Reform des Sanktionenrechts steht an. Leute, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können, sollen raus aus den Gefängnissen und arbeiten. Immerhin betrifft das zehn Prozent, es gäbe zunächst ein wenig Entlastung. Und wenn am Ende gar nichts hilft? Wie man hört, werden gerade eine Menge Kasernen frei. Ob sich die Standorte freuen werden?

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