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Meinung: Kein Diener zweier Herren

Abgeordneter und Cheflobbyist? Norbert Röttgen hat spät gemerkt, dass das nicht geht

Eigentlich ist Angela Merkel schuld. Hätte die Norbert Röttgen zum Staatsminister im Kanzleramt gemacht, wäre der gar nicht erst auf die Idee gekommen, sich einen Job zu suchen, der neben dem Bundestagsmandat eine wirkliche Herausforderung hätte werden sollen. Von dem Mandat sagen zwar die Parlamentarier selbst, es fordere den ganzen Menschen – aber manchmal geht eben noch was. So ließ sich der CDU-Abgeordnete aus dem Rhein-Sieg-Kreis zum Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Industrie (BDI) küren. Und spät, fast schon zu spät, hat er gemerkt, dass man seinen untadeligen Ruf – und den hat er – verspielt, wenn man glaubt, Diener zweier Herren sein zu können.

Weil er beides bis zum Ende der Legislaturperiode miteinander vereinbaren wollte, den Job eines Cheflobbyisten und das Mandat, hatte es großen Wirbel gegeben. Zwei frühere BDI-Vorsitzende, Hans- Olaf Henkel und Michael Rogowski, schrieben in Sachen Röttgen über die Bild-Zeitung einen offenen Brief an Jürgen Thumann, den jetzigen BDI-Boss. Tenor: Das ginge so nicht, baldiger Mandatsverzicht sei anzuraten.

Nun gibt es auch hier, wie oft im Leben, eine Geschichte hinter der Geschichte. Der mächtige BDI ist enttäuscht über die Wirtschaftspolitik der großen Koalition – da musste sich Röttgen entscheiden, ob er mit dem Herzen näher bei der CDU oder näher beim BDI ist. Und dann gibt es da noch Thumann selbst, den BDI-Chef. Sein Umgangston gegenüber der Regierung gilt im eigenen Verband als zu geschmeidig, zu wenig konfrontativ. Henkel und Rogowski haben das zu ihrer Zeit gelegentlich anders gehalten. Man hat sie öfter gehört als Thumann. Ob man auch öfter auf sie gehört hat, ist eine andere Sache.

Dass über den Fall Röttgen öffentlich immer lauter nachgedacht wird, hängt damit zusammen, dass die Öffentlichkeit heute sensibler auf Interessenkollisionen reagiert. Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, ist CDU-Abgeordneter, ohne dass dies bislang jemanden aufregte. Für die SPD saßen im letzten Bundestag die Gewerkschaftsführer Klaus Wiesehügel und Fritz Schösser.

Im Grundgesetz steht, dass Abgeordnete nicht an Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Es ist gut, sich diese Idealvorstellung immer vor Augen zu halten, wenn man darüber räsoniert, dass das Leben leider oft nicht so sei. Es gibt durchaus Abgeordnete, die sich ihrem Mandat und sonst nichts verpflichtet fühlen und dennoch die Existenz von Zwängen nicht bestreiten würden. Bei Röttgen lagen die Dinge anders. Man hätte gewusst, woran man ist. Das hätte es nicht besser gemacht.

Denn wie Norbert Röttgen seinen Wählern hätte erklären wollen, dass alles zusammengeht, arbeitsmäßig und überhaupt, war eine ernste Frage. Der Wahlkreis „Rhein-Sieg II“, dessen Wähler ihm das Mandat anvertrauten, gehört nicht dem BDI. Freitagabend hat Röttgen das auch gemerkt.

Gerd Appenzeller

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