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Meinung: Kein Friede in Nahost: Im Gefängnis ihrer Erfahrungen

Israel hat Scharon gewählt - Israel hat Scharon bekommen. Strafaktionen nach jedem Anschlag, neue Anschläge nach jeder Strafaktion.

Israel hat Scharon gewählt - Israel hat Scharon bekommen. Strafaktionen nach jedem Anschlag, neue Anschläge nach jeder Strafaktion. Die bereits sieben Monate Al-Aqsa-Intifada mit 500 Toten, meist Palästinsern, wird nicht mehr nur in den besetzten Gebieten bekämpft. Gestern okkupierte die Armee autonomes Gebiet in Gaza. In der Nacht zu Montag hatte sie zum ersten Mal seit Jahren syrische Posten im Libanon angegriffen. Steht der Nahe Osten vor dem nächsten Krieg?

Als genau dieses Szenario vor und nach Scharons Wahl warnend beschrieben wurde, hatte es immer wieder beruhigend geheißen, Scharon bedeute nicht Krieg, sondern sei die letzte Friedenshoffnung angesichts der Spannungen. Weil Israels Gegner Respekt vor dem hochdekorierten General haben. Weil nur der Harte klug sein könne, weil nur er die unabdingbaren Zugeständnisse machen dürfe, ohne von einem Großteil der Gesellschaft als Verräter nationaler Interessen angesehen zu werden. Nun allerdings scheint sich bei Scharon diese Dialektik gerade nicht zu entwickeln. Er ist nicht dialektisch - er ist eindimensional. Scharon nutzt sein Imagepolster als harter Hund nicht, um neue Kompromisse auszuloten. Er zeigt immer nur mehr Härte, Härte, Härte. Eine Strategie? Oder kommt er einfach nicht los von den über Jahrzehnte antrainierten Reflexen: Wer im Nahen Osten ernst genommen werden will, muss zurückschlagen, im Zweifel brutaler, als er getroffen wurde?

Israel demonstriert in diesen Tagen Macht zum Überdruss. Und doch kann diese Zurschaustellung militärischer Überlegenheit die tiefe Verunsicherung nicht verdecken. Eine Verunsicherung, die zu zwei radikalen politischen Kurswechseln innerhalb von nicht einmal zwei Jahren geführt hat. Der Likud-Premier Benjamin Netanjahu hatte den Friedensprozess von Oslo verzögert und immer weitere Garantien eingefordert. Das waren die Bürger im Mai 1999 leid - und wählten Ehud Barak von der Arbeitspartei zum Regierungschef. Der versprach Frieden durch Zugeständnisse an die Palästinser. Anderthalb Jahre später war auch Barak gescheitert, und mit ihm der Friedenswille vieler Israelis.

Denn so sehen sie die Erfahrungen mit Netanjahu, Barak und Scharon: Wir haben Härte geübt - und Gewalt geerntet. Wir haben das größte Entgegenkommen bewiesen, die Teilung Jerusalems und die Preisgabe von Siedlungen angeboten - und Gewalt geerntet, sogar eine neue Intifada. Wir sind zur Härte zurückgekehrt - und ernten wieder Gewalt. Scheinbar gibt es gar keinen richtigen Weg. Schon gar nicht können sie glauben, dass Kompromissbereitschaft mit Frieden belohnt wird. Die Enttäuschung über Arafat sitzt besonders tief, weil der sich unfähig zum Frieden zeigte, als Barak ihm in Camp David das beste Angebot aller Zeiten machte. Dabei hat auch Arafat sich nur nach seinen jahrzehntealten Kampf-Erfahrungen gerichtet: im Moment der Entscheidung den Druck verstärken, sonst hat man schon verloren.

Nun fordern die Israelis Vorkasse von ihren Partnern. "Land gegen Frieden", das hieß früher: Israel gab Ägypten den Sinai, gibt den Palästinensern Stück um Stück besetzte Gebiete und Syrien irgendwann den Golan zurück, wenn beide vertraglich Israels Existenzrecht anerkennen und sich zum Frieden verpflichten. Heute sagt Israel: Erst Frieden, dann Land. Syriens Absichtserklärungen werden ignoriert, solange Damaskus die Hisbollah nicht an Anschlägen auf Israel vom syrisch kontrollierten Südlibanon aus hindert. Arafats Polizisten werden als Gegner behandelt, solange sie nicht selbst die Intifada-Jugend bekämpfen. Was diese als Zumutung empfinden, solange jeden Tag Palästinenser durch israelische Kugeln sterben.

Frieden wird es erst geben, wenn beide den Glauben überwinden, dass Gewalt Stärke bedeutet, Nachgeben Schwäche. Zu diesem Wagnis müssten beide gleichzeitig bereit sein. Also kein Hoffnungsschimmer? Auf die Schnelle nicht. Wo doch derzeit auch der Makler fehlt, der Israelis und Palästinenser in Zeiten der Sprachlosigkeit zueinander brachte: die USA. Vielleicht braucht es zum Frieden einen Generationenwechsel. Die alten Krieger Scharon und Arafat sitzen im Gefängnis ihrer eigenen Erfahrungen. Sie wissen zu viel, um noch Hoffnung haben und noch Hoffnung machen zu können.

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