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Kein Patent auf Leben: Der Mensch als Erfindung

Der Oberste Gerichtshof der USA fällt ein zwiespältiges Urteil zu Gen-Patenten. Die "Würde des Menschen" taucht in der Begründung nicht auf.

Von Anna Sauerbrey

Die Nachrichtenagentur Reuters titelte am Donnerstagabend: „Gericht erlaubt Unternehmen, weiterhin Gene zu patentieren“. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte über eine Klage gegen das Unternehmen „Myriad“ entschieden. Das Unternehmen besitzt Patente auf die Gene BRCA1 und BRCA2. Es sind jene Gene, die, wenn sie defekt sind, das Brustkrebsrisiko von Frauen vervielfachen können und die Angelina Jolie vor wenigen Wochen mit ihrer vorsorglichen Brustamputation weltbekannt gemacht hat. Nach der Reuters-Meldung schnellten die Kurse der Myriad-Aktie in die Höhe, um acht Prozent.

Wenige Stunden später fielen die Kurse allerdings durch den Boden. Andere Agenturen hatten nämlich gemeldet: „Sieg – Gericht untersagt Patent auf Leben“.

„Kein Patent auf Leben“, mit dieser Forderung führen Greenpeace und andere seit Jahren den Kampf gegen die Privatisierung der biologischen Blaupause von Mensch, Tier und Pflanzen. Die unterschiedliche Bewertung des Urteils zeigt, wie vertrackt es sein kann, gegen derartige Patente vorzugehen.

Tatsächlich erklärte der Supreme Court nur Teile der von Myriad angemeldeten Patente für unwirksam. Myriad hatte sich einerseits Rechte an der genauen Lokalisierung der Brustkrebsgene auf dem menschlichen Genom gesichert. Diesen Teil verwarf der Supreme Court. Gleichzeitig aber hält das Unternehmen auch ein Patent auf die künstliche Reproduktion der entsprechenden DNA-Abschnitte. Dabei handelt es sich um eine Art „bereinigte Kopie“, sogenannte cDNA, die für praktische Anwendungen in der Gentechnik wichtig ist. Chemisch unterscheidet sich die Kopie zwar vom Original. Die enthaltene Erbinformation aber ist exakt die gleiche. Dennoch erklärte der Supreme Court die cDNA für patentierbar.

Das Urteil ist ein technisches, wie sollte es auch anders sein. Das Gericht orientiert sich an den mikrobiologischen Argumenten und am geltenden Patentrecht. Die „Würde des Menschen“ taucht in der Begründung der Richter nicht auf, es zieht den ethisch neutralen, patentrechtlichen Begriff des „Naturprodukts“ heran. Die Frage, wo der Mensch aufhört und die menschliche Erfindung beginnt, beantworten die Richter nicht.

Doch gerade wegen der zunehmenden Unschärfen wäre es wichtig, einen Schritt zurückzutreten und zu fragen, ob nicht ein Patentrecht defekt ist, für das die besondere Würde des Lebens eine untergeordnete Rolle spielt. Je tiefer die Mikrobiologie mit dem Bio-Engineering in ethisch brenzlige Bereiche eindringt, desto strenger müsste eigentlich das Patentrecht werden. Nach Ansicht vieler Umweltverbände ist allerdings das Gegenteil der Fall. Besonders das Europäische Patentamt wird in diesem Zusammenhang immer wieder kritisiert. Während das deutsche Patentrecht einen vergleichsweise starken Schutz von Mensch, Pflanze und Tier bietet, ist das europäische Recht deutlich weniger detailliert und bietet deshalb umso mehr Schlupflöcher. Daraus folgt, dass im großen Strom der zu Recht patentierten und höchst innovativen gentechnischen Verfahren immer wieder Firmen umstrittene Patente erhalten, etwa auf herkömmliche Züchtungsmethoden von Brokkoli oder, gravierender noch, die Gene des Menschen.

Das gleiche Patent wie in den USA hat Myriad übrigens in Europa angemeldet – und nach Rechtsstreitigkeiten unter formaler Übertragung auf einen anderen Halter behaupten können.

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