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Meinung: Kein Wort im Geiste Heines

Wie sich Schriftsteller, Kanzlerin und Präsident beim Berliner PEN-Kongress blamieren

Der Geist weht angeblich, wo er will. Aber manchmal weht er gar nicht. Oder kaum merkbar. So bisher in Berlin beim Internationalen PEN-Kongress. Zum ersten Mal seit exakt 80 Jahren tagt die renommierteste Schriftsteller-Vereinigung der Welt in Berlin, unweit des Ortes, wo wenige Jahre nach dem bisher einzigen Treffen in der deutschen Hauptstadt die Bücher brannten und der deutsche PEN ins Exil getrieben wurde. Für den Bundespräsidenten, der den Kongress mit eröffnet hatte, und die Bundeskanzlerin, die diese Woche erstmals eine große Autorenschar in ihr Amt einlud, wahrlich eine Chance. Zur Reflexion und zur Repräsentation – eines neuen, anderen Deutschlands.

Doch Köhler und Merkel fielen nur Allgemeinplätze ein, die Freiheit des Wortes und dass sie natürlich überall zu verteidigen sei. Solche Botschaft hätte auch vom Kulturreferenten in Brunsbüttelkoog ausgehen können. Was die Banalisierung der öffentlichen Rede an ihrer Staatsspitze angeht, ist die Bundesrepublik längst wieder auf dem Weg – in die Vor-Weizsäcker- und Vor-Brandt-Zeit.

Freilich herrscht auch unter deutschen Intellektuellen eher geistige Windstille. Günter Grass hatte bei seiner bejubelten PEN-Eröffnungsphilippika gegen die Irakkrieger Bush und Blair einerseits völlig Recht. Doch ist das inzwischen der schiere Gratismut, sozusagen: mit dem Stachel gelöckt, wie das der humoristische Adorno mal nannte. Kein Schriftsteller oder Journalist wird heute von den Amerikanern oder Engländern verfolgt, gefoltert, getötet. Amerikas Brainwash, die öffentliche Gehirnwäsche nach dem 11. September, ist in den USA selbst gestoppt worden (und hat in Blairs Britannien nie existiert). Leben und Meinungsfreiheit sind hingegen von Kuba bis China und von Kairo bis Djakarta noch immer leibhaftig bedroht. Während man in Berlin sehr allgemein übers „Schreiben in friedloser Welt“ spricht (ein Thema seit der Steingriffelzeit), hatte der PEN eben erst in New York unter dem aktuelleren, brisanteren Motto „Glaube und Vernunft“ diskutiert. Da haben Köpfe wie Salman Rushdie, Orhan Pamuk, Hans Magnus Enzensberger und Nilüfer Göle über die Konflikte zwischen religiösem Fundamentalismus und liberaler Intelligenz mit Geistesgegenwart geredet. Und gestritten.

Grass und der deutsche PEN jedoch haben sich beispielsweise in der von Islamisten hysterisch hochgepuschten Affaire um ein paar harmlose Karikaturen nur lavierend, ja: feige verhalten. Ohne entschiedene Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit. Merkwürdig ist auch jetzt die Funkstille: bei der überraschenden Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke. Hier nämlich geht es nicht mehr um die ästhetische Bewertung eines zu Recht schon mit vielen Preisen gewürdigten poetischen Werks. Heine hatte gewarnt, wo Bücher brennen, werden auch Menschen verbrennen. Der Fall Handkes, der eben noch am Grab eines Mannes sprach, durch den im einstigen Jugoslawien Bücher und Menschen zu Asche wurden, hätte darum auch vom PEN ein offenes Wort verdient. Im Geiste Heines.

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